Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Sonnensperma in Venusland

Eine Austellung erinnerte an das Lebenswerk von Karl Hans (Joachim) Jankes

„Sonnen-,Kinder', das sind 30 bis 50 kleine Sonnen in einer leuchtenden Wolke, dem Magma-Spermat, wie solches – nach dem Aneinanderlegen zweier Sonnensysteme, einem männlichen und einem weiblichen – aus dem Systemkörper ausgestoßen wird." Etwa 1970 schildert Karl Hans (Joachim) Janke in einem bunten Lichtbildvortrag die „999 tausend Milliarden"-jährige Geschichte von Zeit und Raum und erläutert detailreich die Ichthyosaurus- und Menschwerdung aus „tierähnlichen Pflanzen, deren Leib für die Aufnahme von Sonnensperma geeignet war." Von seinen 300 bis 400 Erfindungen verdienen vor allem seine „Trajekte" Beachtung: Luft-Omnibusse, die „als erste Maschinen der Welt ohne Reaktor und brennbare Treibstoffe eines Tages bis 220 Personen" befördern können. Von Urlauber-Trajekten für die Strecke Berlin-Kühlungsborn bis zur Entwicklung der „Venusland", die Ferien im All ermöglicht, alles „Germania-Fabrikate".

Janke

Jankes Wissenschaft ist autodidaktisch. Seine Erkenntnisse hat er sich in der Psychiatrischen Landesanstalt Hubertusburg angeeignet, ehemals das größte Jagdschloß Sachsens, wo auch schon August Bebel und Wilhelm Liebknecht verwahrt wurden. Er hat diesen Ort seit seiner Einweisung 1950 bis zu seinem Tode im Februar 1988 nicht mehr verlassen.

Es sei dahingestellt, ob Janke heutzutage wegen „wahnhaften Erfindens" ­ so die damalige Bezeichnung seines Symptoms ­ überhaupt irgendeine Betreuung zuteil würde. Es waren andere Zeiten, da man wirren Geistern die Stille von Pflegeanstalten zur Rückbesinnung anempfahl. Die Grenze zum Verrückten scheint bisweilen unkenntlich, seit uns ein jeder unaufgefordert zu verklickern sucht, wie crazy er ist.

Außer als Erfinder und Ingenieur verstand sich Janke als Künstler. Daher die Liebe und die ästhetische Qualität seiner meist großformatigen Abbildungen. Die Präzision und Harmonie in der Struktur seiner Darstellungen unterscheidet ihn von anderen als psychisch krank eingestuften Genies.

Janke kam 1909 zu Kolberg/Pommern auf die Welt, in einem Flüchtlingsstrom gelangt er 1945 nach Sachsen. Nachdem seine Mutter 1948 stirbt, wird er laut Krankenakte als auffällig und verwahrlost beschrieben. Nach einer kurzen Haftstrafe wird er ob „chronisch paranoider Schizophrenie" in dauerhafte Verwahrsam genommen. Alle weiteren Angaben zu seiner Vita beruhen auf eigenen Angaben und sind teils ­ wie sein Studium der Zahnmedizin in Greifswald ­ nachweislich falsch.

Der größte Teil seiner Arbeiten hat auf dem Dachboden der Hubertusburg – auf Postkartenformat zusammengefaltet in verstaubten Obstkisten verstaut – überlebt und wurde auf Initiative des Kurators Peter Lang im Künstlerhaus Bethanien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dieser fügte reizvolle Konfrontationen bei, etwa mit dem als normal geltenden belgischen Künstler Panamarenko sowie der legendären Comicreihe „Mosaik", die einer ganzen Generation von Ostdeutschen ein technisches Grundwissen vermittelte und den meisten von ihnen einen Teil ihrer Jugend bedeutet.

Roland Kirberg

> Die Ausstellung, zu der ein deutsch-englischer Katalog erschienen ist, ist nur noch bis zum 6. Juli, Mi bis So von 14 bis19 Uhr geöffnet. Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg

 
 
 
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