Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

abbau

Es war ja nicht anders zu erwarten. Natürlich zieht die Bezirksfusion eine empfindliche Verschlechterung der Infrastruktur in Groß-Mitte nach sich. Nun stehen die Heimatmuseen vor dem Aus: das von Tiergarten in der Turmstraße und das von Mitte im Palais am Festungsgraben. Sie sollen mit dem Heimatmuseum Wedding fusioniert werden. Und das, obwohl es dort gar keinen Platz für die Sammlungen und Archive gibt. Derzeit ist das Haus in der Pankstraße wegen der Folgen eines Brandes überhaupt nicht nutzbar. Bernd Hildebrandt, Leiter des Museums in Tiergarten, wird im Frühjahr 2004 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt; er befürchtet, daß die stadthistorisch interessierten Moabiter nun im Regen stehengelassen werden. Ja, und die Bierausstellung, die wir in seinem Haus vermißt haben (s. scheinschlag 5/03) war eigentlich schon vor Monaten abgesagt worden. Nur wußte die Pressestelle im Bezirksamt Mitte anscheinend nichts davon und faxte Ankündigungen durch die Gegend.

abriß

Die Moderne hat keinen guten Stand. Was geht, wird abgerissen ­ im Osten wie im Westen, oft unter Beifall der Bevölkerung. Unter www.restmoderne.de findet man jetzt ein Bildarchiv mit exemplarischen Bauten der Berliner Nachkriegsmoderne, von denen vermutlich einige in absehbarer Zeit postmodernen Scheußlichkeiten weichen müssen. Ein Versuch, öffentliches Bewußtsein für die Bedeutung moderner Architektur herzustellen ­ hoffentlich nicht zu spät und ganz vergeblich.

absatz

Der Sozialen Künstlerförderung, 1950 in Westberlin etabliert, geht es an den Kragen. 350000 Euro jährlich standen bisher zur Verfügung, um in Not geratene Künstler durch Ankäufe finanziell zu unterstützen. Der Berufsverband bildender Künstler Berlins (bbk) protestiert und bestreitet, daß sich das Programm durch Verkauf und Vermietung der gesammelten Bestände weiter finanzieren lassen wird. Einsparungspotential sieht der bbk vielmehr bei dem aufgeblähten Verwaltungsapparat, mit dem die Soziale Künstlerförderung organisiert werde.

abart

Spastika ­ hießen so nicht vor Jahren obskure Metal-Bands? Heute jedenfalls nicht mehr. Hinter Spastika verbirgt sich eine Mischung, wie wir sie bisher nur von New Yorker Bands wie den White Stripes oder den Strokes kannten. Also extremer Low-New-Folk-Rock oder wie auch immer das heißt. Jedenfalls lässig, cool und perfekt hingetrasht. Als wäre das noch nicht Grund genug, den Bastard zu besuchen, covern Neoangin (aka. Jim Avigon) und Nova Huta Songs von The Cure.

> Spastika am 10. Juli um 22 Uhr im Bastard@Prater, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg

abbild

Das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße bietet in diesem Sommer Workshops zur jüdischen Geschichte der Spandauer Vorstadt für Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren. Zwischen dem 17. und 22. Juli geht es um die Herstellung eines Bilderbuches über das Leben der Jüdin Alice Leicht, exemplarische Schicksale von Berliner Juden zwischen 1933 und 1945 und eine Spurensuche am Hackeschen Markt.

> Anmeldungen beim Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt, Rosenthaler Straße 39, Mitte, fon 28599407, www.blindes-vertrauen.de

abdrift

Justine Electra ­ das ist so ungefähr die charmanteste Demo-CD, die jemals für eine Konzertankündigung verschickt wurde. Musikalisch bewegt sich Justine zwischen warmen Elektrospielereien, deepen Tanzbeats und groovenden Folk. Eingelagert sind Kalimba- und Gitarren-Samples à la Neil Young. Ach, wenn das schon alles wäre ­ nein, dazu kommt noch ein betörender Gesang zwischen Ironie und Melancholie ­ absolut einmalig ­ Hingehen!

> Justine Electra am 25.Juli. um 23 Uhr im nbi, Schönhauser Allee 157, Prenzlauer Berg

abguß

Die 1915 geborene Bildhauerin Ingeborg Hunzinger hat im Stadtbild (Ost)berlins und über die Stadtgrenzen hinaus so manche Spur hinterlassen. Ihr bekanntestes Werk ist das Mahnmal in der Rosenstraße in Mitte, aber auch im Biesdorfer Schloßpark gibt es eine Figur von ihr. Die Fotografin Christel Wollmann-Fiedler hat ihre Werke zwischen Ostsee und Elbsandsteingebirge aufgespürt und fotografiert. Diese Bilder zeigt nun die Inselgalerie in ihrem neuen Domizil neben Zeichnungen und Skulpturen von Ingeborg Hunzinger.

> „Sphinx und Pegasus", noch bis zum 19. Juli in der Inselgalerie, Torstraße 207, Mitte, Di bis Fr 13.30 bis 18.30 Uhr, Sa 13 bis 17 Uhr

abgott

Ein Sommerloch wird es auch dieses Jahr im Berliner Musikleben nicht geben. Da ist das Festival young euro classics vor, das im August wieder Jugendorchester aus ganz Europa ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt holt. Weil sich die Gäste mit Vorliebe für die Musik ihres Heimatlandes ins Zeug legen, ist das Programm höchst abwechslungsreich und bringt Begegnungen mit Stücken, die sonst kaum zu hören sind. So bringt das Danube Youth Symphony Orchestra aus Ungarn am 22.8. nicht nur Bartók, sondern auch Weiner und Gyöngyösi zu Gehör, während das Orchester der Litauischen Musikakademie Mikolajus Konstantinas Ciurlionis aufführt (11.8.); das Orchestra Giovanile del Piemonte wartet mit einer Uraufführung von Enrico Correggia auf (16.8.), das Bukarester Hochschulorchester setzt sich für den Nationalheiligen George Enescu ein (17.8.) Das extrateure Abschlußkonzert mit dem Schleswig-Holstein-Festivalorchester unter Kurt Masur führt mit Bruckners Siebter zurück in konventionellere Bahnen. Von einer völlig schwachsinnigen Idee hat man sich aber leider noch nicht verabschiedet: Vor jedem Konzert schwadronieren „Prominente" (bisher u.a. Otto Sander, Cem Özdemir und Michel Friedman) über Europa. Wenn die Nachwuchskräfte gut spielen, wird man den Ärger schnell vergessen haben.

> www.young-euro-classics.de

ach!

Eine der letzten Instanzen, die in Berlin in Zeiten – ach, wie diesen! – kulturellen Projekten etwas mehr als nur die allernötigsten Mittel zuschanzen konnte, droht abgewickelt zu werden. Landtagsabgeordnete verschiedener Parteien fordern das Ende der bisherigen Verteilungspraxis der Deutschen Klassenlotterie. Dabei beschließt ein unabhängig sich gebärdendes Gremium von Politikern und Kulturschaffenden in einem recht informellen Prozeß die Verteilung z.T. erheblicher Summen, so etwa kürzlich 2,25 Mio. Euro zur weiteren Sanierung der Kulturbrauerei. Künftig soll das Geld direkt in den Landeshaushalt fließen und von dort aus – meinen zumindest die Befürworter des neuen Modells – gerechter verteilt werden.

 
 
 
Ausgabe 06 - 2003 © scheinschlag 2003