Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Weitertelefonieren!

Karrieren im Callcenter

Zunächst einmal ist eine sechsstündige Schulung zu absolvieren. Daß vier Stunden davon bereits unbezahlte Arbeitsstunden sind, erfahren die Interessenten für den Job im Callcenter am Hackeschen Markt zunächst nicht. Zwei Stunden lang erklärt der Teamleiter, welche Billigvorwahlnummern das Unternehmen anbietet und wie man beim Telefonverkauf vorgeht. Wenn er dann an die Telefontische bittet und Leitfäden zum Telefonieren austeilt, wird klar, daß die Lernphase vorbei ist. Nun geht es daran, Aufträge für die Firma an Land zu ziehen.

Vier Stunden Verkaufsgespräche am Telefon sind harte Arbeit und peinlich obendrein, wenn man noch nicht einmal den Leitfaden fehlerfrei vorlesen kann. Die Erfolgsquote der Neulinge ist entsprechend gering. Hat man es geschafft und einen Kunden akquiriert, wird der Freischaltungsauftrag von den Teamleitern entgegengenommen und mit der Aufforderung kommentiert, bitte keine Pause zu machen und sofort weiter zu telefonieren.

Ob man sich für die Arbeit als „Callcenter Agent" eignet und einen „freien Handelsvertrag" unterschreiben darf, stellt sich erst später heraus. Den vier Stunden unbezahlter Arbeit folgt ein Probetag, an dem man sich nochmals unter Beweis stellen muß. Nach fünf Stunden verrichteter „Probearbeit" wird auf einen baldigen Anruf der Teamleitung vertröstet, der darüber aufklären soll, ob man zum Kreis der Auserwählten gehören wird oder nicht. Dann folgt noch ein Einstellungsgespräch, oder man kann nach Hause gehen. Ohne Geld allerdings, denn das gibt es nur, wenn die Firma einen erkennbaren Nutzen aus der Arbeitskraft ziehen kann, sprich: wenn genügend Aufträge abgeschlossen werden.

Maja E. kam diese Regelung von Anfang an etwas seltsam vor. Während die Teamleitung munter Aufträge einsammelte, wurden die Jobanwärter über ihre Situation zunächst im Unklaren gelassen. Sie tauschte mit den Leidensgenossen in der Probeschicht Telefonnummern aus und fand später heraus, daß keiner der 20 Jobanwärter eingestellt wurde. Mit betroffener Stimme erklärte eine Mitarbeiterin des Unternehmens, der jeweilige Interessent habe leider zu schlecht gearbeitet und sei für das Unternehmen nicht lukrativ genug. Man wünsche viel Glück bei der weiteren Arbeitssuche.

Seit mehreren Wochen inseriert das Unternehmen in der zitty. Die täglichen Schulungstermine sind angesichts der Joblage in Berlin voll besucht. Aber die meisten Arbeitssuchenden sind gratis ­ Einmalarbeiter, die sich problemlos im nächsten Schulungstermin durch neue Anwärter ersetzen lassen.

In der Callcenter-Branche gehört diese Art des Umgangs mit Arbeitern zum Alltag. Ob es sich um Ausbeutung noch vor Vertragsabschluß, um die Nichtbewilligung von Urlaubs- und Krankengeld mit anschließendem Mobbing oder schlicht um Lohnbetrug handelt ­ die Arbeitsbedingungen sind meistens miserabel. Dennoch nimmt die Zahl der Beschäftigungen immer weiter zu. In Berlin schießen die Callcenter wie Pilze aus dem Boden. Hier gibt es jede Menge jobsuchender Studenten, die für die Callcenter optimale Eigenschaften mitbringen. Sie versprechen ein gut ausgebildetes und meist mehrsprachiges Personal. Der schwache Arbeitsmarkt begünstigt niedrige Lohnkosten und unseriöse Beschäftigungsverhältnisse. Darüber hinaus handelt es sich bei den meisten Callcentern um ausgelagerte Teilbereiche größerer Unternehmen. Durch immer weitere Kostenreduktion entstehen tarif- und anscheinend auch gesetzesfreie Zonen.

Inzwischen haben die Gewerkschaften für die Arbeit im Callcenter Leitbilder entwickelt. „Mitbestimmungsrechte und gewerkschaftliche Interessensvertretung" lautet eines der wichtigsten Ziele. Man will die ungehinderte und unbeschränkte Betätigung von Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern erreichen. Bisher scheint sich die Arbeitgeberseite nicht an Gesetze und Vorschriften zu halten und die Gründung von Betriebsräten zu behindern. Die Gewerkschaften fordern auch die Achtung des Persönlichkeitsrechts in Bezug auf „Call-Monitoring" (das Abhören der Kundengespräche) sowie eine kollektive Regelung durch Tarifverträge.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat sich auf branchenunabhängige Callcenter spezialisiert. Die Mitgliederzahlen sind steigend; unter anderem finden sich hier auch Mitarbeiter der sogenannten „Callcenteroffensive" wieder, die vor Jahren aktiv war und mittlerweile offenbar eingeschlafen ist. Seitens der Gewerkschaft wird empfohlen, sich zunächst informell in einer Gruppe zu organisieren und anschließend bei ver.di Unterstützung zu suchen, um gemeinsam an den Arbeitgeber heranzutreten.

Petra Owski

> Wer sich in Sachen Arbeitnehmerrechte informieren will, kann am 7. Juli um 19 Uhr zum Callcenter-Stammtisch von ver.di ins Restaurant Loretta am Wannsee, Kronprinzessinnenweg 260, kommen.

Kontakt über:
karlheinzgerhold@verdi.de

 
 
 
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