Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Überrumpelt

Vermarktung der Arbeit (VI)

Hartz kommt, die Umsetzung der Kommissionsvorschläge ist in vollem Gange. Der Reformprozeß, der mit einem Skandal bei der Bundesanstalt für Arbeit begann und ursprünglich lediglich mit Mißständen bei der Verwaltung der Arbeitslosen aufräumen wollte, hat eine erstaunliche Eigendynamik entwickelt. Hartz wurde zum Heiland und Erlöser, der die Arbeitslosenzahlen – oh Wunder – um zwei Millionen reduzieren soll. Daß solche Zahlen ernsthaft im Gespräch waren, belegt einmal mehr die Begrenztheit menschlichen Denkens.

Letzte Folge der Serie „Vermarktung der Arbeit".

Kritische Stimmen behaupten, daß es sich bei den Hartz-Papieren um eine großangelegte Verschwörung handelt, deren Ziel es ist, dem Sozialstaat den Todesstoß zu versetzen und eine aktualisierte Version des brutalsten Manchester-Kapitalismus durchzusetzen. Angesichts der für parlamentarische Verhältnisse affenartigen Geschwindigkeit des Reformprozesses, die eine breite öffentliche Diskussion über die Details der gesetzlichen Regelungen verhinderte, erscheint der Gedanke nicht abwegig.

Wahrscheinlicher ist aber, daß die Arbeit der Hartz-Kommission durchaus auf der Hoffnung fußte, der Allgemeinheit Gutes zu tun ­ Arbeitslose und Erwerbsunfähige eingeschlossen. Es ist die begrenzte Vorstellungskraft der Reformer, die für viele Gemeinheiten verantwortlich ist: Alle Personen, die an der Erarbeitung der Vorschläge mitgewirkt haben, waren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch nie arbeitslos und laufen auch nicht Gefahr, es je zu werden. Sie werden also selbst nie in die Verlegenheit kommen, zwangsweise als Zeitarbeiter vermittelt zu werden oder Heimat und Freunde wegen einer „zumutbaren" Arbeit verlassen zu müssen. Ihre Liebesbeziehungen werden nicht darunter leiden, daß bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe das Einkommen des Partners verstärkt angerechnet wird und die Beziehung dadurch mehr und mehr zur finanziellen Belastung wird.

Der Gerechtigkeit halber muß gesagt werden, daß im Hinblick auf die zunehmende Arbeitslosigkeit dringender Handlungsbedarf besteht. Um der weit verbreiteten Meinung entgegenzutreten, Politiker seien dumm und faul, hat die Regierung Schröder hier zumindest ansatzweise versucht, die Problematik schnell und engagiert in Angriff zu nehmen.

Allerdings ist man weit über das Ziel hinausgeschossen. So schön der Name „Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" auch klingen mag ­ eine umfassende Gesetzesreform müßte anders aussehen. Sie stellt erstens einen Ausgleich zwischen verschiedenen, meist gegenläufigen Interessen dar, einen von allen Seiten akzeptierten Kompromiß. Den zu finden erfordert keinen zackigen Aktionismus, sondern Zeit ­ umso mehr, als die Hartz-Reform traditionelle sozialdemokratische Ideale in Frage stellt. Zweitens muß eine Gesetzesreform auf reale gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Diesem Anspruch ist das Reformvorhaben nur teilweise gerecht geworden.

Am Beispiel der Zeitarbeit wird dies besonders deutlich. Die zwangsweise Vermittlung von Arbeitslosen ist der Versuch, Zeitarbeit quasi per Gesetz salonfähig zu machen. Das muß scheitern, denn obwohl diese Form der Erwerbsarbeit zunehmend akzeptiert ist, ist sie beileibe kein Massenphänomen. Nur bestimmte Berufsgruppen, die gerade mal einen Bruchteil der heutigen Arbeitswelt ausmachen, sind durch Zeitarbeitsvermittlung erfaßt. Arbeitslose Akademiker etwa werden kaum zu vermitteln sein; die neuen Zumutbarkeitsregeln, die es ermöglichen, auch einen diplomierten Philosophen als Straßenbauer zu beschäftigen, erinnern an die Idee der Ernteeinsätze und werden für erhebliche Frustration sorgen.

Auch die Idee der Ich-AG geht an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Die Förderung kleinster Unternehmen, die gerade auf langfristige Wirkungen zielt, ist in finanzieller Hinsicht ein Faß ohne Boden. Denn Deutschland ist nicht USA, wo Kinder mit dem Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär aufwachsen. Menschen, die wie schon ihre Eltern ihr ganzes Leben einer geregelten Arbeit nachgehen, werden nicht über Nacht zu Kleinunternehmern. Und auch die hiesigen Rahmenbedingungen, insbesondere die starke staatliche Einflußnahme auf jedes noch so kleine Detail unternehmerischer Tätigkeit, sind keine idealen Voraussetzungen für Existenz gründungen. Diese Rahmenbedingungen zu verändern aber wäre ein Projekt, das man keiner noch so weisen und tatkräftigen Kommission überlassen möchte.

Bei aller Kritikwürdigkeit hat die Hartz-Kommission aber zweierlei bewirkt: Erstens ist – wenn auch spät – eine öffentliche Debatte darüber in Gang gekommen, was der Begriff von Erwerbsarbeit in einer hochzivilisierten Gesellschaft zu bedeuten hat. Und zweitens ist bei den politisch interessierten Bevölkerungskreisen die Wachsamkeit in Hinblick auf weitere Vorhaben zur Reform des Arbeitsmarktes geschärft. Die Überrumpelungstaktik der Regierung Schröder funktioniert nur einmal. In diesem Sinne ...

Berit von Kurnatowski

Förderkredite für Arbeitsplätze: Seit 1. November 2002 gibt es ein Förderprogramm „Kapital für Arbeit". Unternehmen, die von Arbeitslosigkeit Betroffene oder Bedrohte einstellen, erhalten Förderkredite bis zu 100000 Euro.

Zeitarbeit: Seit Jahresbeginn 2003 gilt das „Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt". Ab Ende Juli sollen in den Arbeitsämtern private „Personal-Service-Agenturen" eingerichtet werden. Ihre Hauptaufgabe ist die Vermittlung von Zeitarbeit (mit dem Ziel „dauerhafter Arbeitsverhältnisse"). Die bisherigen gesetzlichen Einschränkungen der Zeitarbeit fallen nach einer einjährigen Übergangszeit weg.

Zumutbarkeit: Die Zumutbarkeitsregeln wurden grundlegend verändert. Unter bestimmten Umständen müssen Arbeitssuchende schlechter bezahlte, befristete oder unqualifizierte Tätigkeiten sowie Umzüge in andere Regionen in Kauf nehmen, sollen ihre Leistungen nicht gekürzt werden. Für Umzüge können zinslose Darlehen von bis zu 4500 Euro gewährt werden.

Beweislast: Ob ein Angebot unzumutbar ist, muß im Streitfall nicht mehr das Arbeitsamt, sondern der Arbeitslose nachweisen. Kann er das das nicht, drohen ihm Leistungskürzungen.

Weiterbildung: Die Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen wird über „Bildungsgutscheine" geregelt. Voraussetzung ist nach wie vor, daß man in den letzten drei Jahren ein Jahr versicherungspflichtig beschäftigt war. Die Qualitätsprüfung der Weiterbildungsträger übernehmen private Zertifirierungsstellen.

Ältere Arbeitslose: Wenn über 50jährige Arbeitslose eine Beschäftigung antreten, deren Entlohnung ihr Arbeitslosengeld unterschreitet, erhalten sie 50 Prozent der Differenz erstattet. Betriebe, die über 55jährige Arbeitslose einstellen, müssen für diese keine Beiträge zur Rentenversicherung leisten. Ab dem 52. Lebensjahr sind „sachgrundlos" befristete Arbeitsverhätnisse erlaubt.

Ich-AG: Ebenfalls seit 1. Januar gibt es die „Ich-AG". Die Empfänger von Arbeitslosengeld oder -hilfe, die sich selbstständig machen, erhalten monatliche Zuschüsse: im ersten Jahr 600, im zweiten 360 und im dritten 240 Euro. Hinzu kommen Erleichterungen bei der Versicherungspflicht und eine Besteuerung von nur 10 Prozent.

Mini-Jobs: Beschäftigungsverhältnisse mit Einkünften bis 400 Euro bleiben seit 1. April als „Mini-Jobs" für die Beschäftigten steuerfrei. Der Arbeitgeber trägt Sozialabgaben von 12 (bei „haushaltsnahen Dienstleistungen") bis 25 Prozent.

Meldepflicht: Ab Anfang Juli sind Beschäftigte verpflichtet, sich beim Arbeitsamt zu melden, sobald sie von ihrer anstehenden Kündigung erfahren. Der Betrieb muß sie dafür nicht freistellen.

JobCenter: Die Arbeitsämter heißen künftig „JobCenter" und sollen kundenfreundlicher werden. Dabei wird zwischen „Informationskunden", „Beratungskunden" und „Betreuungskunden" unterschieden. Um letztere sollen sich „Fallmanager" kümmern.

Arbeitslosen- und Sozialhilfe: Eine Sonderkommission erarbeitet z.Z. Vorschläge zur weitgehenden Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

 
 
 
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