Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ein bißchen beides"

Berlin Umsonst" will Protest und Selbstbedienung kombinieren

Angesicht wachsender Armut auf der einen und einer kaum noch hinterfragten „Sparzwanglogik" auf der anderen Seite sucht die Kampagne „Berlin Umsonst" nach neuen Formen des Widerstands. Die Forderungen der Aktivisten sind unbescheiden: „Also her mit dem schönen Leben! Schluß mit Schluß!! Leben zum Nulltarif! Berlin umsonst!!!"

Ihr macht eine Kampagne unter dem Motto „Berlin Umsonst". Was verbirgt sich dahinter?

Thomas: Wir wollen etwas gegen die unsoziale Sozialpolitik in Berlin tun. Hinter der Kampagne verbergen sich verschiedene Gruppen, die schon länger was gegen Sozialkürzungen gemacht haben.

Jan: Im Grunde knüpfen wir an die Sachen an, die im letzten Jahr gelaufen sind. Da gab es die Initiative Berliner Bankenskandal mit einem Spaziergang nach Grunewald oder es gab anläßlich der Erhöhung der Schwimmbadpreise im letzten Jahr Proteste vorm Prinzenbad mit Stürmung des Bades. Das sind so ein paar Sachen gewesen, an die wir jetzt anknüpfen und die wir stärken wollen – sozusagen den aktionsorientierten Protest gegen die Sozialkürzungen.

Ihr habt am 1. Juni zu den Protesten anläßlich des SPD-Parteitags eine eigene Aktion organisiert. Warum habt ihr euch nicht an der Demo beteiligt und eure Aktion stattdessen an einem anderen Tag stattfinden lassen?

Jan: Das sollte eine Aktion sein, die die Kundgebung flankiert. Wir hatten das so eingeschätzt, daß die Kundgebung vor dem Estrel-Hotel, in dem der Parteitag stattfand, das Hauptgewicht haben sollte. Wir dachten uns, dann fahren wir eben die Strecke bis zum Hotel umsonst mit der U-Bahn und stoßen dann dort zur Kundgebung dazu. Das haben wir auch gemacht und das ist auch ganz gut gelaufen.

Thomas: Wir haben vorher schon so etwas Ähnliches gemacht, eine Sternfahrt zum Kottbusser Tor von drei Seiten gleichzeitig. Unterwegs haben wir Aufkleber verteilt, die den Fahrscheinen nachempfunden sind. Dabei gab es ziemlich gute Reaktionen von den Leuten.

Ihr wollt, daß alles umsonst ist. Ist das eine Forderung an irgendjemanden oder ist das als Ermunterung zu verstehen, sich einfach zu nehmen, was man braucht?

Jan: Es steckt ein bißchen beides dahinter. Uns ist schon klar, daß das keine umsetzbare politische Forderung ist. Wir wollen damit einen Protest gegen die Kürzungspolitik ausdrücken, der sich auf die Sparzwanglogik gar nicht erst einläßt, der aber im Alltag der Menschen stattfinden kann. Es gibt bereits viele Gelegenheiten, bei denen sich Leute etwas umsonst nehmen, beispielsweise ohne zu zahlen ins Schwimmbad gehen oder U-Bahn fahren. Sowas wollen wir sichtbar machen und sagen, wenn das Geld überall knapper und das Leben dauernd teurer wird, dann ist es auch legitim, sich bestimmte Sachen umsonst zu nehmen.

Thomas: Wir wollen versuchen, Dinge zu unternehmen, die zum Nachmachen anregen. Es ist uns nicht wichtig, ob das immer im Kontext dieser Kampagne steht.

Jan: Bisher haben wir nur in einigen Bereichen was gemacht, im öffentlichen Nahverkehr oder in den Schwimmbädern etwa. Es gibt aber sicherlich viele weitere Bereiche, wo Leute andere Wege gefunden haben, Sachen kostenlos zu bekommen. Wir wollen anregen, darüber zu reden und das Anderen zugänglich zu machen, so daß man es nachahmen kann und das als eine Überlebensstrategie auch sichtbar wird.

Wie wollt ihr von diesem individuellen Ansatz zu einem kollektiven Widerstand gegen die Sozialkürzungen kommen?

Jan: Bestimmte Taten, wie umsonst ins Schwimmbad zu gehen, sind erstmal individuelle Handlungen. Aber dadurch, daß die nicht immer nur heimlich für sich gemacht werden, sondern öffentlich in einer Aktion, daß man darüber spricht und das auch als eine Form des Widerstands gegen Verschlechterung der Lebensverhältnisse begreift und dann auch so nennt, kann sich das ändern. Außerdem machen wir auch ganz klassisch Demonstrationen, wie die Fahrraddemo gegen die Schwimmbadpreise.

Wen sprecht ihr mit euren Aktionen an?

Jan: Als letztes Jahr vorm Prinzenbad protestiert wurde, haben sich die ganz anderen Badegäste daran beteiligt; auch bei dem Versuch, da umsonst reinzukommen, waren sie dabei. Unser Ziel ist, Leute, die vom Ausschluß von einer Leistung oder ähnlichem betroffen sind, einzubinden, sie zu ermuntern, Wege zu finden, diese Leistung trotzdem zu bekommen. Wir gehen davon aus, daß das sowieso ganz viele tun, aber nicht öffentlich darüber sprechen.

Was habt ihr denn als nächstes vor?

Thomas: Jetzt ist erstmal eine Fahrraddemo geplant. Da wollen wir mehrere Schwimmbäder abklappern, mit Fahrrad, Lautsprecherwagen und Flugblättern, und vor dem Prinzenbad dann Party machen.

Jan: Dann sind Aktionen zu den Kürzungen im Gesundheitsbereich geplant, aber da das unterschiedliche Gruppen organisieren, wird erst dazu aufgerufen, wenn die Vorbereitung soweit ist. Die aktuellen Termine stehen dann auf unserer Homepage.

Interview: Søren Jansen

> Information unter: www.berlin-umsonst.tk

 
 
 
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