Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Flucht nach „Drüben"

Zum 15. Jahrestag der Besetzung des Lenné-Dreiecks

Freie Republik Kubat. „Falls ihr Bock auf Sommer, Leben, Lachen und Streiten habt, dann kommt gefälligst her, damit wir den Platz halten können", lockte das Flugblatt. Nach fünf Wochen Selbstverwaltung schließlich am 1. Juli 1988 von der Polizei gestürmt und dem Erdboden gleichgemacht. Innensenator Kewenig hatte in den bürgerkriegsähnlichen Blockadewochen nichts unversucht gelassen, um das Hüttendorf und seine Q-Bats zur Strecke zu bringen. Der Hauptabteilungsleiter Politik beim SFB, Peter Pistorius, kommentierte nach dem Endsieg im Morgenmagazin: „mit der Kneifzange zugefaßt, diese Dreckecke in der Stadt besenrein gekehrt".

Kubaxland. Ein vier Hektar großer Landzipfel namens Lenné-Dreieck, den Westberlin von der DDR für 76 Mio. Mark im Zuge eines komplexeren Gebietstausches bekommen sollte. Die Mauer verlief hier nur entlang des Todesstreifens, die in den Tiergarten vorstoßenden Kanten waren permeabel, da bloß per Zaun gesichert. Auf dem Gelände gedieh eine ökologisch wertvolle Pflanzengesellschaft. Senatspläne sahen vor, auf dieser innerdeutschen Landgewinnung mit der heftig umstrittenen sechsspurigen Westtangente den Autobahnring zu schließen. Am 26. Mai entschloß sich eine Besetzerschar aus Umweltaktivisten und Autonomen, das Gelände vorfristig zu übernehmen. Da bis zum 1. Juli Territorium der DDR, durfte kein Westberliner Polizist das nach Norbert Kubat (Selbstmord in U-Haft am 1. Mai 1987) benannte Gelände betreten. Der Osten duldete die Besetzung nach anfänglichen Vertreibungsversuchen.

„Wir haben das Dreieck nicht symbolisch besetzt, sondern werden hier bleiben und unseren Lebensraum einrichten." Bis zum 3. Juni blieb alles friedlich, bis eine polizeiliche Pressemeldung die Bedrohung eines Kollegen durch eine Pistole lancierte. Wohl wissend, daß es sich um eine Spielzeugknarre des damals 18jährigen unter Vormundschaft stehenden Demo-Aktivisten Christian gehandelt hatte. Die Polizistenmorde auf der Demo gegen die Startbahn West wenig zuvor brannten noch tief in der exekutiven Psyche. Man nutzte den Waffenvorwurf als Vorwand für rücksichtslose Konfrontation gegen alle Q-Bats. Gedeckt wurde die Diffamierung von einer ungeschminkt rechtsgeifernden Frontstadt-CDU.

Die Polizei sperrte das Gelände mit einem hohen Zaun ab. Ein Zugang verblieb einzig auf dem einige Meter breiten und zum Territorium der DDR gehörenden Unterbaugebiet der Mauer auf Westseite. Hier durften die Aggressoren nichts ausrichten und rächten sich mitunter beim Verlassen der Republik mit der kompletten ID-Behandlung: Fotos, Fingerabdrücke, Hinweis auf § 129a, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Die Q-Bats antworteten mit Gräben und Barrikaden ­ so kam es wochenlang immer wieder zu handfesten Scharmützeln mit Verletzten: stundenlanger Tränengas- und Wasserwerferbeschuß versus Steinwürfe und Zwillenschüsse. Innerhalb der Besetzergruppe gärten derweil die Konflikte zwischen den „Müslis" und den „Mollies".

Das Ende kam kapriolesk und sollte in die Geschichte eingehen. Verkehrte Welt, schrien Springers Kampforgane. In den frühen Morgenstunden des 1. Juli erhoben 200 Q-Bats mit dem Rücken zur Wand die Not zur Tugend. Und setzten sich über die Mauer nach Drüben ab. Sanft von lächelnden Grepos auf bereitstehende Lastwagen geleitet, um anschließend mit Schrippen, Kaffee und Kippen bewirtet zu werden. Als sie nach Einzelverhören wieder raus durften, veranstalteten BVG-Schergen am Grenzübergang Friedrichstraße gezielte Hetzjagden. Später fand man Zigtausende von Tränengasgranatenhülsen auf dem Gelände.

Lenné-Dreieck. Am 4. Januar 2004 wird Otto Beisheim 80 Jahre alt. Der Milliardär und Gründer des Metro-Großhandels wird den Blick von seiner neuen Luxuswohnung im 19. Stockwerk seiner neben dem Ritz-Carlton Hotel gelegenen „Tower Apartments" über den Tiergarten schweifen lassen. Ihm wird es egal sein, daß unter seinem Pflaster der aufsässige Strand von Q-Bat begraben liegt.

Andi Seidel

 
 
 
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