Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Interessant und vielversprechend"

Ein McDonald's-Drive-In als Provokation für die Kreuzberger Kiezkultur

„Der Standort ist sehr interessant und sehr vielversprechend für uns. Leider kann ich Ihnen keine näheren Auskünfte geben, wir befinden uns mit den Gesprächen in der Finalisierungsphase." Das ist im Wesentlichen alles, was der Pressesprecher der deutschen McDonald's-Hauptstelle am Telefon zu sagen hat bzw. sagen darf und deshalb ständig wiederholt.

An der Skalitzer-/Ecke Wrangelstraße in Kreuzberg soll eine neue McDonald's-Filiale entstehen. Obwohl Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) aufgrund der Konkurrenz für den umliegenden Einzelhandel dagegen stimmte, wurde das Bauvorhaben im April dieses Jahres genehmigt. Die Post AG hatte das Grundstück bereits im Dezember 2000 an McDonald's verkauft. Ob im Kiez neben drei Dönerläden, einem indischen Restaurant, einem Asia-Snack, einer Hähnchenbude und mindestens zwei Falafelläden pro Straßenzug eine weitere Fastfood-Filiale sinnvoll ist? Der McDonald's Pressesprecher weiß zur Standortfrage eine ungefähr passende Antwort aus seinem Katalog vorzulesen: „McDonald's ist ein Alltagsort und zieht als mittelständisches Unternehmen Besucher aus allen Bevölkerungsschichten an. Der Standort ist sehr interessant und sehr vielversprechend ..."

Zumindest die Schüler des gegenüberliegenden Oberstufenzentrums für Handel werden verläßliche Gäste sein. Während sich die Schulleitung Gedanken über ernährungspsychologische Aspekte sowie über das Müllproblem macht, ist man auf der Schülerseite froher Erwartung: Die meisten Schüler finden es cool, daß gegenüber von ihrer Schule bald ein Fastfood-Restaurant einlädt. Der Standort liefert die Stammkundschaft gleich mit.

Das große Geschäft dürfte an diesem Ort, einem Wohngebiet mit wenig Durchgangsverkehr, aber ausbleiben. Offenbar setzt der Konzern, der weltweit mit sinkenden Einnahmezahlen konfrontiert ist, weniger auf Lauf-, sondern vor allem auf Fahrkundschaft: Die neue Niederlassung soll auch einen Drive-In bieten. Die Autofahrer, die in Richtung Friedrichshain, Lichtenberg, Treptow oder stadteinwärts fahren, können ihr Essen bequem im Auto mitnehmen.

Das daraus entstehende Verkehrsaufkommen im Wrangelkiez wird jedoch weder die Anwohner noch die Schüler freudig stimmen. Zwar hat der Pressesprecher, der angibt, selber fünf Jahre in Kreuzberg gewohnt zu haben, hinsichtlich der Akzeptanz der Bevölkerung keinerlei Bedenken. Aber wegen der besonderen Kulturgeschichte des Bezirks muß man mit der Mißgunst der Anwohner rechnen, vielleicht nicht nur am 1. Mai. Der Bau eines US-amerikanischen Riesenkonzerns ist eine Provokation, und die meisten Anwohner zeigen sich wenig begeistert. Sie befürchten eine Zerstörung der Kiezatmosphäre. „Kein McDonald's in Kreuzberg" ist auf mehreren Häuserwänden zu lesen.

Dennoch hat sich noch keine Protestbewegung gebildet. Viele Anwohner kündigen an, sich an den Protestaktionen zu beteiligen ­ aber nur, wenn sie jemand organisiert. Dafür ist noch Zeit, denn der endgültige Bautermin steht noch nicht fest. Während zunächst geplant war, mit den Baumaßnahmen im Herbst dieses Jahres zu beginnen, soll es nun erst im Frühjahr 2004 losgehen.

Sonja Fahrenhorst / Torsten Büsing

 
 
 
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