Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der Vater als Agent

Péter Esterházys Verbesserte Ausgabe

Wer hätte gedacht, daß das Leben wie ein Roman ist? Ein billiger Politkrimi aus den Jahren des Kalten Kriegs, schreibt der Autor an einer Stelle in seinem nun auf Deutsch erschienenen Buch. Die ungarische Ausgabe sorgte ein Jahr zuvor in Ungarn für einen Eklat: ein Aristokrat als Spitzel, und noch dazu aus einer der hochangesehensten Familien des Landes neben der literarischen Sensation, daß es sein Sohn war, der dies öffentlich machte. Man solle es nicht lesen, ohne das Buch Harmonia Caelestis zu kennen, wünscht Péter Esterházy im Vorwort. Aber auch, es bei diesem ohne die Verbesserte Ausgabe zu belassen, wäre grundsätzlich falsch. Beide gehören nämlich unerbittlich zusammen: die große Chronik über die Esterházys und die dem folgende Korrektur, die Verbesserung an seinem Vater.

Zu einem Zeitpunkt, als die Familiensaga schon beendet war und die ersten Druckfahnen zur Überarbeitung eintrafen, will der Autor im Amt für Geschichte, einer Art Gauck-Institution, seine Akten einsehen, „falls es welche geben sollte" und erhält vier Dossiers, in denen er sofort „die schöne Handschrift des Vaters" erkennt. Esterházy kann nicht anders, als das Material durch ihn sprechen zu lassen. Für ihn ist es einerseits bloßer Rohstoff, der bearbeitet werden muß; andererseits wird er dadurch zu einem schonungslos Mitleidenden, den nur die Art frivole Konstruktivität ­ die er ebenfalls an den Tag legte, als er über den Tod seiner Mutter schrieb ­ rettet.

Seite für Seite begleitet er den Informanten mit dem Decknamen Csanádi zu Treffs in kleine Espresso-Bars, schreibt und kommentiert das, was dieser zu Papier brachte sowie auch jene Texte, die von den Auftraggebern hinzugefügt wurden. Und er entdeckt dabei die furchtbaren Schnittstellen, an denen die Erinnerung des Knaben die Aufzeichnungen zu ergänzen vermögen. Er stellt aber auch die Banalität dieser Aufzeichnungen fest und freut sich über Vermerke wie, daß die „Berichte unzureichend" sind oder „nicht verwendbar". Amnestieren will er seinen Vater jedoch nicht, für ihn ist er schuldig geworden, und nicht nur gemäß der soziologischen Binsenweisheit, daß nicht nichts nichts ist, sondern in der Summe trotzdem Substanz.

Robert Steinle

> Péter Esterházy: Verbesserte Ausgabe (Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki). Berlin Verlag, Berlin 2003. 22 Euro

 
 
 
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