Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kapitalismuskritik im Kino-Werbeblock

45 Sekunden Irritation: Die neuen A-Clips

Die Idee stammt – so erzählt man sich – von einem Filmvorführer, der sich wünschte, er hätte nicht-kommerzielle Kurzfilme oder Clips, die er in die Werberolle vor dem Kinofilm integrieren könnte. 1997 gab es dann die erste A-Clip-Reihe: Höchstens 45 Sekunden lange Kurzfilme, die mitten im Werbeblock entweder ihre politisch-kritische Botschaft verbreiten oder durch eine subjektive künstlerische Ästhetik zumindest für Irritation im Warenkorb der Lifestyle- und Konsumanpreisungen sorgen. Jetzt startet das dritte A-Clip-Projekt. Der Name bezieht sich übrigens nicht auf das Anarcho-Logo, sondern – nicht weniger bescheiden – auf die in Hollywood übliche Unterscheidung zwischen zumindest kommerziell anspruchvollen A- und eher zweitklassigen B-Movies.

Eine Auswahl nach irgendwie objektivierbaren Qualitätskriterien haben die Mitwirkenden dennoch nicht getroffen. Zwar gibt es eine Redaktion, doch sieht diese ihre Aufgabe darin, die einzelnen Arbeiten zu diskutieren, sich gegenseitig technisch und künstlerisch zu beraten und den Vertrieb der Spots an die Kinos zu koordinieren. Die 53 in den letzten zwei Monaten entstandenen A-Clips wurden in Deutschland, hauptsächlich in Berlin, in London und Los Angeles produziert. In allen drei Städten wurden Studios mit den nötigen Videokameras, Computern und Schnittprogrammen eingerichtet, die es auch Laien ermöglichen, Beiträge zu erarbeiten. Eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds verwendete man größtenteils für die Übertragung des Video-Materials in das kostspielige Kino-Format.

Das Ergebnis umfaßt ein breites Spektrum: Antikriegsproteste, Solidarität mit Flüchtlingen, Kapitalismuskritik im allgemeinen ­ zum Beispiel durch eine satirische Werbung für Geld-Druck-Maschinen für zuhause ­ oder auch Protest gegen die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes, die in einer absurden Diskussion mit dem Wachschutzmitarbeiter eines Einkaufcenters in L.A. schlicht als antidemokratisch entlarvt wird. Einige Spots werden wohl nur lokal eingesetzt werden wie etwa die Angebote für Cross-Border-Leasing (siehe scheinschlag 4/03) oder der Aufruf, den BVG-Einzelfahrschein durch Weitergabe an Mitreisende optimal auszunutzen.

Doch gibt es auch viele Kurzfilme, die keine eindeutige politische Botschaft beinhalten, sondern versuchen, den normierten kommerziellen Werbespots eine eigene Ästhetik entgegenzusetzen. Welche Wirkung sie dabei entfalten, hängt wohl davon ab, zwischen welchen Spots sie in der Werberolle plaziert werden. Im günstigsten Fall kann diese sogar variieren, sollte sich der Vorführer die Mühe machen, den A-Clip durch den Werbeblock wandern zu lassen. Im ungünstigsten Fall allerdings verschwindet die Wirkung der nicht unbedingt leicht zugänglichen Kurzfilme vollständig – schließlich sind auch viele Werbefilmer bereits in der postmodernen Ästhetik angekommen und üben sich im Experimental-Filmen. Die A-Clips, die offensichtlicher gängige Klischees der Werbung persiflieren, werden diesem Schicksal leichter entkommen. Am gelungensten ist die Entlarvung der realitätsfremden Verzückungen der auf Plakatwänden abgebildeten Werbeikonen: Wer versucht, diese Grimassen im öffentlichen Straßenraum zu imitieren, macht sich notwendigerweise lächerlich.

Die Wiedererkennung der disparaten Arbeiten gewährleistet das Einblenden des A-Clip-Logos am Ende des Spots. Die Zusammenarbeit mit den Kinos – erwartungsgemäß vor allem mit Programmkinos zum Beispiel der Yorck-Gruppe – gestaltet sich laut Redaktion einfach und unbürokratisch. Oftmals reicht der Kontakt zu einem Vorführer aus, der sich bereit erklärt, einen A-Clip aufzunehmen. Die Auswahl übernimmt dabei weitestgehend die Redaktion, um eine nachträgliche Selektion durch die Kinomitarbeiter zu vermeiden. Man ist optimistisch, alle 53 Kurzfilme unterzubringen. Beschwerden von kommerziellen Werbeträgern sind in den letzten Jahren jedenfalls nicht aufgetreten. Mit etwas Glück lohnt es sich also wieder, vor Beginn des Hauptfilms im Kino Platz zu nehmen, um auf Unerwartetes zu stoßen.

Katrin Scharnweber

 
 
 
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