Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Dog Parties bei Sonnenaufgang

Abenteuer Hasenheide: gefährlicher Ort mit Weltstadtflair

Die Hasenheide, von der Alexander von Humboldt wegen des früheren Bestandes an stakeligen Kiefern mal behauptete, Sibirien sei ihre Fortsetzung, ist meine grüne Oase. Ich kannte den ab 1936 von Joseph Pertl im landschaftlichen Stil angelegten Volkspark bislang nur tagsüber. Diese Melange aus exotischen Dealern, einheimisch Besoffenen, nackten Posern, kläffenden Kötern, ungehemmt Musizierenden, fröhlichen Kitagruppen, unermüdlichen Joggern und szenigen Zivilfahndern ist ein Berliner Highlight mit wirklichem Weltstadtflair. Der Betäubungsmittel-Handel bedingt die Einordnung des Parkgeländes als „gefährlichen Ort" im Sinne des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG). Als ich das dritte Mal gemäß §§ 21,34 ASOG-Berlin leibesvisitiert wurde, verlegte ich meine Aktivitäten kurzerhand in die frühen Morgenstunden. Ich meide lieber Bullen, die im Eifer des Gefechts schweißnasse Sportler mit Drogisten auf Turkey verwechseln.

Das Abenteuer Hasenheide unter den zärtlichen Küssen der aufgehenden Sonne in noch frühmorgendlich taufrischer Luft erleben zu dürfen, ist Privileg und Erfahrung zugleich. Berlin mittenmang, stellt sich für mich hier der wahre, schöne, gute Parkgenuß, mithin das verbotene Gefühl gutsherrschaftlicher Größe, das innerstädtische Erleben landschaftlicher Weite, das Eins-Sein mit den Bäumen, dem sanften Rascheln ihrer Blätter und dem munteren Gezwitscher der Vögel ein. In der Leere des Raumes nähern sich die spärlichen Parknutzer daher respektvoll, wohl wissend um diesen kurzen Luxus des Alleinseins.

In der Frühe durchstöbern die Krähen die Abfälle in den Müllkörben nach Verwertbarem und zerhacken dabei Thermokaffeebecher und Plastiktüten. Die wie eine Matroschka anmutende Frau mit drei Röcken und einem Kopftuch scheint mit ihnen bekannt. Unlängst ging sie oberhalb meines Territoriums, beständig eine Futtermischung auf ihrem Weg entlang der knorrigen Eichen ausstreuend. Weiter hinten hatte sich schon der unter einer Plastikplane auf der Bank schlafende Parknächtiger aufgemacht. Unsichtbare Leute.

Der „48 Stunden Neukölln-Newsletter" berichtete einmal von einer Performance zum soziologischen Phänomen der morgendlichen „dog-parties". Der Künstler Rainer Wieczorek hatte für 4 Uhr kurz vor Sonnenaufgang zum „Treffen aller Hundefreunde" und zum „Gespräch über Sinn + Unsinn der modernen Kunst" auf dem Hundefreilaufgebiet in der Hasenheide eingeladen. Für mich ein interessanter Aspekt im Kaleidoskop der bizarren Mensch-Tier-Paare, die mich mittlerweile gelassen hinnehmen.

Noch bevor das Gelände von den Parkarbeitern oder den arbeitsverpflichteten Sozialhilfeempfängern gereinigt wird, sammelt ein mit einer großen Plastiktüte gewappneter Mann liegengebliebenes Pfandgut ein. Er ist sehr korrekt gekleidet und grast seine Fundorte zuweilen joggend ab. Überhaupt sind mir die Jogger ein Rätsel. Die meisten laufen linksrum und immer auf den Wegen, jedoch selten querfeldein über das saftige Gras. Möglich, daß es sich hierbei um eine stille Abmachung mit den Hundeausläufern handelt. Am Gehölzrand und neben besonderen Bäumen bewegen sich manche zu Tai Chi oder Shaolin. Vereinzelt sind auch Geher auszumachen. Niemand läuft rückwärts.

Die sportlichen Aktivitäten in der Hasenheide müßten dem als „Turnvater" vergöttlichten Friedrich Ludwig Jahn ein Lächeln in seiner nationalen Gruft entlocken. Er hatte am Rand des ehemaligen Exerzierplatzes an der Hasenheide 1811 das erste deutsche Turnfest veranstaltet. Mittels körperertüchtigender Leibesübungen sollte der deutsche Mann fit für den Freiheitskampf gegen die napoleonische Besatzung gemacht werden. Sein Engagement brachte ihm später eine Anklage wegen Hochverrats ein, 1820 landete er auf Erlaß des Innenministers in Küstriner Festungshaft: „Da Seiner Majestät ernstlicher Wille ist, daß das Turnwesen ganz aufhört, so hat die königliche Regierung von Polizei wegen nachdrücklich darauf zu achten, daß alles Turnen schlechterdings unterbleibt." Jenes zu vollziehen, würde Körtings grasgrüne Truppen heute glatt überfordern.

Andi Seidel

 
 
 
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