Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Mieter müssen draußen bleiben

Die Zustände in der Rigaer Straße 94

Vom 12. bis zum 21. Mai besetzten zahlreiche Aktivisten des Projekte- und Initiativenrates (Pirat) friedlich das PDS-Wahlkreisbüro in Friedrichshain. Sie protestierten damit gegen die für die Bewohner unhaltbare Situation im Haus- und Kulturprojekt Rigaer Straße 94. Nachdem der Hauseigentümer Suitbert Beulker am 7. Mai mit einem großen Polizeiaufgebot fünf Wohnungen räumen ließ, spitzte sich der jahrelange Streit zwischen den Mietern des Hauses und dem Hausbesitzer dramatisch zu: Polizeifahrzeuge standen ständig in der Nähe des Hauses, und häufig kreiste auch ein Polizeihubschrauber über den Dächern. Denn die Wohnungsräumungen waren für Beulker der Anlaß, endlich Herr im Haus zu spielen. Sein Ideenreichtum war grenzenlos.

Die geräumten Wohnungen wurden in den folgenden Tagen systematisch unbewohnbar gemacht. Neben einem Bauarbeitertrupp legte der Hausbesitzer selber kräftig mit Hand an. „Er schlug mehrmals wie wild mit einer Axt auf Türen und Öfen ein und schrie: ,Das ist alles mein Eigentum'", erzählten mehrere Augenzeugen. Auch wenn die Bauarbeiter Feierabend hatten, war für die Hausbewohner der Streß mit dem Hausbesitzer nicht beendet. Ein von Beulker angeheuerter Sicherheitsdienst bewachte den Eingang Tag und Nacht.

Anhand einer von Beulker angefertigten Namensliste entschieden sie, wer das Haus betreten durfte und wer, „zur unerwünschten Person" erklärt, draußen bleiben mußte. Zur letzten Kategorie gehören nicht nur Freunde der Bewohner, sondern auch Mieter. „Obwohl ich Mietvertrag und Ausweis mit Meldeeintrag vorweisen konnte, durfte ich nicht in meine Wohnung", berichtete eine Mieterin auf einer Pressekonferenz. „Als ich die in der Nähe postierten Polizisten aufforderte, mir Zutritt zu meiner Wohnung zu verschaffen, verschränkten die nur die Arme und erklärten hämisch: ,Wir sind offiziell gar nicht hier.'" Mittels einer einstweiligen Verfügung konnten drei Mieter nach mehreren Tagen wieder ihre Wohnung betreten. Eine weitergehende einstweilige Verfügung, die auch das Zutrittsverbot für Besucher der Hausbewohner aufheben sollte, hatte der Richter hingegen mit dem Verweis auf das Sicherheitsinteresse des Vermieters abgelehnt.

Beulker wird diese Entscheidung natürlich noch bestärkt haben, seinen Privatkrieg fortzusetzen. Dieser begann im September 2000, als Beulker das im Juni 1990 besetzte Haus gekauft hatte. Dabei ignorierte er die Rahmenmietverträge, die die damals zuständige Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) im Januar 1991 mit dem von den Bewohnern gegründeten Verein für Kultur und Kommunikation geschlossen hatte. Mehrere Versuche von Friedrichshainer Bezirkspolitikern, den Konflikt am Runden Tisch zu lösen, wurden von ihm konsequent boykottiert. Auch auf die Medien ist Beulker nicht gut zu sprechen. Pressevertreter wurden vor den Augen der Polizei vom Wachschutz bedroht. Einem Fotografen wurde am 13. Mai die Kamera entrissen und auf den Boden geworfen. Augenzeuge dieser Aktion war auch der Kreuzberger PDS-Bezirksverordnete Steffen Zillich. Ebenso wie der PDS-Vertreter im Berliner Abgeordnetenhaus Freke Over bezeichnete Zillich das Vorgehen von Beulker und seinem Sicherheitsdienst als völlig untragbar. Allerdings betonen beide, daß ihre Einflußmöglichkeiten äußerst begrenzt seien.

Die Pirat-Aktivisten wie die Bewohner der Rigaer Straße 94 hingegen verweisen auf die politische Verantwortung der PDS als Regierungspartei in Friedrichshain und in Berlin. Sie fordern nicht nur den Abzug des Sicherheitsdienstes und den sofortigen ungehinderten Zugang zu den Wohnungen ihres Hauses, sondern auch ein Ende der „Berliner Linie", die noch aus Zeiten des CDU-Senats stammt und Besetzungen verhindern soll. Mittlerweile hat Beulker in unmittelbarer Nähe zur Rigaer Straße 94 vier weitere Häuser aufgekauft. Die dortigen Mieter sind nun ebenfalls ständigen Schikanen ausgesetzt. Auch sie beginnen, sich zu wehren, und überwinden dabei die Berührungsängste zum Hausprojekt. Ob es noch rechtzeitig zu einem gemeinsamen Handeln kommt, wird sich zeigen.

Peter Nowak

 
 
 
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