Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Schandflecken, Rumpelkammern und Tempelimitate

Preußisches Weltkulturerbe: Neues von der Museumsinsel

Die Museumsinsel wird bald nicht mehr wiederzuerkennen sein. In zwei Jahren ist die Sanierung des Bode-Museums abgeschlossen, bis 2007 ist das Alte Museum dran. 2006 soll David Chipperfields neues Eingangsgebäude und 2008 das Neue Museum fertig sein. Später kommen noch das Pergamonmuseum, die „Museumshöfe" in der ehemaligen Friedrich-Engels-Kaserne und das künftige Zentrum der Berliner Museumslandschaft dazu: die Kopie des Stadtschlosses, welche die Sammlungen außereuropäischer Kunst enthalten soll. Beobachtungen zum Stand der Dinge.

Hauptsache Glanz

Vor wenigen Jahren konnte man in der Alten Nationalgalerie noch die DDR spüren. Die Gemälde hingen an nachgegrauten Putzflächen, das rissige Linoleum quietschte, und man fühlte sich mehr als Entdecker eines vergessenen Archivs, denn als Besucher, schon gar nicht als Kunde. Damals hieß das Museum einfach „Nationalgalerie", und sein modernes Gegenmodell am Kulturforum trug das Attribut „Neu" noch mit Stolz. Inzwischen steht Neuheit nicht mehr hoch im Kurs, und die Nationalgalerie wurde in die plüschschwere, bohnerwächserne Kaiserzeit zurückrestauriert. Viel war vor der Sanierung von „vorsichtigem Angleichen" und „Alterswürde" die Rede; nun wirkt alles penibel originalgetreu und dabei so plastikartig glatt, als stünde es in Las Vegas.

Die Besucher verhalten sich wie in der Pause einer Wagner-Oper; selbst die Touristen haben so etwas wie eine Sonntagsgarderobe aus dem Koffer gekramt. Andächtig nickend steht man vor den Bildern herum, die man aus den Schulbüchern kennt, vergewissert sich seiner Wertschätzung für Menzel und Caspar David Friedrich und plaudert über die gute alte Zeit. Im großmächtigen Treppenhaus ein Blick hinüber zum Dom, dessen schnörkeliger Pomp aus dieser Perspektive endlich einmal passend wirkt. Dahinter steht mit dem Palast der Republik noch echte Geschichte herum. Die Kommentare reichen von mildem Kopfschütteln bis zu gequältem Zischen: „Eine Schande, eine Schande ..."

Seit wann sagt man eigentlich „Schandfleck", wenn eine Fassade ihre Geschichte zeigt? Und wie heißt es richtig: „In altem Glanz erstrahlen", „in neuem Glanz erstrahlen", „in alter Pracht neu erstehen" oder „in neuer Pracht wiederauferstehen"? Würden sich die Nostalgiker bitte entscheiden!

Bodes Rumpelkammer

Wer die großen Kunstmuseen von Boston oder Philadelphia besucht, macht dort eine irritierende Erfahrung: Die Räume, in denen etwa Spitzenwerke des französischen Impressionismus hängen, sind vollgestellt mit Möbeln und Vitrinen, in denen Kunsthandwerk gezeigt wird. „Period rooms" nennt man diese wohnraumartigen Ensembles, die einem heute reichlich verstaubt anmutenden Ausstellungskonzept zufolge das „ideale Gesamtbild einer Epoche" vorstellen sollten. Derlei galt als zeitgemäß, als der Kunsthistoriker Wilhelm von Bode, seit 1890 Direktor der Gemäldegalerie, das Kaiser-Friedrich-Museum konzipierte und dann ab 1904 als Direktor leitete. In der DDR beherbergte das Haus dann frühgeschichtliche Sammlungen und wurde nach seinem Gründungsdirektor benannt.

Geht es nach Peter-Klaus Schuster, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, dann sollen die Bestände der Gemäldegalerie vom Kulturforum abgezogen werden und ab 2005 wieder in derartigen Rumpelkammern zu sehen sein ­ Kunsthandwerk, Skulpturen und Bilder nach Bodes 100 Jahre altem Plan. Das Bode-Museum als Museum eines Museumskonzepts, so interpretiert General Schuster anscheinend die aus dem „Weltkulturerbe" resultierende Verpflichtung. Mit seinem „Masterplan II" fegte er kurz nach seinem Amtsantritt 1999 vom Tisch, was Anfang der Neunziger als künftige Nutzung des Bode-Museums festgelegt worden war: nämlich eine Zusammenführung der archäologischen Sammlungen.

Dabei ist erst 1998 die neue Gemäldegalerie von Hilmer/Sattler am Kulturforum eröffnet worden, wo die Dahlemer Sammlungen mit denen der Museumsinsel Ost zusammengeführt sind. Der strenge, unprätentiöse Neubau, der auf diese Sammlung zugeschnitten wurde, bietet einen hervorragenden Rahmen für eine zeitgemäße Präsentation. Ein überzeugendes alternatives Nutzungskonzept für den 260 Millionen Mark teuren Neubau hat der großspurig planende General nicht. Man könne dort genauso gut Moderne zeigen, heißt es. Das wäre freilich eine nicht weniger radikale, die architektonischen Gegebenheiten mißachtende Umnutzung, als es die Bespielung des Bode-Museums in der DDR war. Aber was ist schon ein unaufdringlicher Neubau gegen die wilhelminischen Schlachtschiffe, was sind schon ein paar Millionen Euro angesichts der Jahrhundertaufgabe „preußisches Weltkulturerbe"?

Dem Antike-Revival knapp entronnen

„Alle Architekten sind für Chipperfield, alle anderen für Kollhoff." Die Museumswärterin weiß, wovon sie spricht. In einem Nebenraum des Pergamonmuseums bewacht sie eine Ausstellung zum Architektur-Wettbewerb „Hinter dem Gießhaus 1", wo ein Privatmuseum entstehen soll. Der Millionär und Kunstsammler Heiner Bastian hatte das Grundstück zwischen Zeughaus und Museumsinsel vor zwei Jahren gekauft und zugesagt, außer einigen Luxus-Appartements auch Ausstellungsräume unterzubringen. Die Architekten waren eingeladen, nach einer zeitgenössischen Antwort auf die direkt gegenüber liegende Museumsinsel zu suchen.

Chipperfields Entwurf ist das Bemühen anzumerken, trotz der engen Vorgaben und der Sensibilität des Ortes für eingängige Effekte zu sorgen. Er sieht vor, das Grundstück mit sandsteinernen, an einer Seite verglasten Kästen zu bestapeln. Damit kommt er um eine allzu strenge Lochfassade herum, der bei Museumsbauten inzwischen üblichen Show-Architektur aber gefährlich nahe.

Der zweite Favorit, Hans Kollhoff, war mit Hilmer/Sattler bislang als Anführer der „preußisch Strengen" bekannt. Nun zeigt er sich als das, was er ist: kein sanfter Traditionalist, der die Reste des Alten zu respektieren und vorsichtig zu interpretieren sucht, sondern der aggressivste Reaktionär seit Albert Speer sen. Er wollte an den Erfolg der Alten Nationalgalerie anknüpfen und schlug einen antiken Tempelbau vor. In seiner Projektbeschreibung entblödete er sich nicht, Wilhelm Heinrich Wackenroder ins Feld zu führen, einen Dichter des 18. Jahrhunderts, dem die Sakralarchitektur der Antike als „der natürlichste Ausdruck für das Museum" erschien.

Da schimpfte die Fachwelt. An der Beobachtung der Museumswärterin aber gibt es nichts zu rütteln: Außerhalb der Fachöffentlichkeit wird auch der schamloseste Historizismus als „natürlich schön" empfunden, weil er „wie früher" aussieht. Immerhin: Der Mäzen entschied sich für Chipperfield.

Florian Neuner / Johannes Touché

 
 
 
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