Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wahr, schön, bankrott

Alarmismus allerorten: Die jüngsten Sparmaßnahmen betreffen die Berliner Hochschulen (s. auch Seite 2). Auch die Kunsthochschulen schlagen Alarm und haben doch wenig Aussicht, Gehör zu finden im großen Konzert des allgemeinen Lamentierens. In einem offenen Brief vom 25. April an den Regierenden Bürgermeister gehen die StudentInnenschaften der drei kleinen Berliner Kunsthochschulen (Weißensee, „Ernst Busch" und „Hanns Eisler") sogar so weit, die sofortige Ablösung von Finanzsenator Thilo Sarrazin zu fordern, um „weiteren drohenden schweren Schaden von unserer Stadt abzuwenden". Dem Senator attestieren sie ob dessen „grotesker Einsparszenarien" Verantwortungslosigkeit, gar „intellektuelle Perversion".

Grotesk ist freilich auch der Lobbyismus, zu dem sich die Kunststudenten in dieser zweifellos prekären Situation anscheinend gehalten sehen. In einer ebenfalls im April veröffentlichten „Stellungnahme zu den Empfehlungen der ExpertInnenkommission zu den künstlerischen Hochschulen des Landes Berlin" versteigen sich die Ostberliner Studentenvertreter zu blumigen Elogen über das „Wahre, Schöne, Gute" und fragwürdigen Argumenten für den Nutzen der Kultur im Allgemeinen, entblöden sich nicht einmal, von den „entscheidenden Standortvorteilen" zu schwadronieren, die Bildung und Kultur für die bankrotte Hauptstadt darstellten.

Ob solcher Argumente können sich die ignoranten Berufspolitiker, allen voran der Finanzsenator, freilich nur ins Fäustchen lachen. Das immer wieder gern zitierte Metropolen-Vorbild New York zeigt doch, daß man für die Kultur keinen müden Cent ausgeben muß ­ und trotzdem tummeln sich dort die selbstausbeuterischen Kreativen, mit touristischer Ausstrahlung weltweit. Indem die StudentInnenschaft von der Seele und von Gefühlen palavert, die sie mit ihrer Kunst anzusprechen gedenken, von Individualität und Bürgersinn im Zeitalter der Globalisierung, gibt sie sich selbst zum Abschuß frei. Hat jemand überlegt, ob es wirklich strategisch klug ist, sich die Beweislast für die ökonomische und touristische Relevanz von Kunst und Kultur aufnötigen zu lassen?

Das Papier enthält freilich nicht nur Blumiges, sondern geht auch auf die Empfehlungen ein, die von der Expertenkommission gemacht wurden. Die hat sich zwischen November 2002 und Februar 2003 an den Kunsthochschulen umgesehen und sogar mit Studenten gesprochen, was lobend vermerkt wird. Neben dem üblichen Bekenntnis zur Erhaltung der Eigenständigkeit der Hochschulen machen die Experten auch konkrete Vorschläge zur Straffung des Angebots, was bei der StudentInnenschaft naturgemäß großteils auf Ablehnung stößt.

So plädiert die Kommission für eine Abschaffung des Studiengangs Architektur an der Kunsthochschule Weißensee, der laut studentischer Replik „eine erfrischende Wirkung auf das Hochschulganze" ausübt. Man steht jedoch nicht an, zu konstatieren, daß Berlin mit 2200 Architektur-Studienplätzen möglicherweise doch über eine Überkapazität verfügt. Ein hochschulübergreifendes Zentrum für Jazz und Popularmusik sollte nach Auffassung der Studentenvertreter besser an der Eisler-Hochschule angesiedelt werden als an der Universität der Künste, während man die Etablierung einer „Opernschule Berlin" durchaus begrüßt, den Kommissaren aber auszureden versucht, daß sich durch eine derartige Zentrierung Geld einsparen ließe. Die sind ohnehin zu der Auffassung gekommen, an den kleinen Kunsthochschulen ließe sich nichts mehr einsparen, ohne deren Existenz in Frage zu stellen.

Das Gewürge geht also weiter. Berlin will sich seine Hochschulen nicht mehr leisten, vor Schließungen schreckt man gleichzeitig aber auch zurück. Die Frage drängt sich auf, ob man letzteres den verantwortlichen Politikern überhaupt noch zugute halten soll.

hb

 
 
 
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