Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ibrahims Laden

Die verschlungenen Wege eines Gebrauchtmöbels

Schränke, Kommoden, Regale und Lampen, selbstverständlich auch Bücher, Platten, Klamotten, Geschirr, Klodeckelplüsch und was man sich sonst noch alles in einer Wohnung vorstellen kann: Mitten im Wrangelkiez befindet sich Ibrahims Möbelnachlaßgeschäft in der Ladenwohnung des Hauses, in dem ich wohne. Jeden Tag stehen neues Mobiliar und neue Kisten vor seiner Ladentür, manchmal wechselt das Angebot innerhalb von wenigen Stunden. Transporter halten und werden be- und entladen, Schränke und Kommoden hin und her getragen, Holztruhen hochgestemmt, Bilderrahmen geliefert.

Spätestens seitdem Ibrahim mir mein eigenes Fahrrad für 25 Euro angeboten hat und ich meinen alten Kühlschrank, der eigentlich im Keller stehen sollte, zwischen einem Holztisch und einem Wohnzimmersessel neben seiner Ladentür entdeckt habe, bin ich neugierig geworden. Wie wickelt er seine Geschäfte ab?

Zweimal pro Woche kommen Ibrahims Brüder und kaufen bei ihm ein. Sie haben eigene Läden in Neukölln und Schöneberg, restaurieren die Möbel und verkaufen sie anschließend weiter. Jedes zweite Wochenende kommen auch seine polnischen Kollegen in den Laden und wollen Schränke und Kommoden kaufen. Sie haben ihn in Holland kennengelernt, wo es die meisten und billigsten antiken Möbel geben soll. Auch Ibrahim kauft bei Kollegen ein. In einem Möbelnachlaßgeschäft in Neukölln liefert er zehn leere Umzugskartons an seine deutschen Berufsgenossen und läßt sich dafür 62 volle liefern. Für einen Karton mit unbekanntem Inhalt zahlt er fünf Euro. Ein Teil des Einkaufs geht an weitere Kollegen, den Rest baut er vor seinem Laden auf.

Das meiste Inventar kauft Ibrahim auf Versteigerungen. Mindestens einmal pro Woche fährt er mit seinen zwei bulgarischen Helfern ins Auktionshaus. Hier trifft er viele Kollegen und tauscht mit ihnen Informationen aus. Ibrahim ersteigert vorzugsweise Orientteppiche und Regalreihen mit Hausrat. 130 Euro zahlt er etwa für das ausgewählte Regalabteil, in dem sich hauptsächlich verschnörkeltes, wohl eher unechtes Silbergeschirr türmt. Die frisch erworbenen Waren müssen zunächst vor den feilschenden Arbeitskameraden gerettet werden, die bereits Angebote für dieses und jenes machen, bevor Ibrahim seine Einkäufe überhaupt aus der Auktionshalle herausgeschafft und begutachtet hat. Manchmal kommt Ibrahim aber auch her, um etwas in die Halle hineinzuschaffen: Waren, die er nicht verkaufen konnte und die im Laden keinen Platz mehr haben, gibt er hier in Kommission.

Um für seinen Stand auf dem Flohmarkt einzukaufen, fährt Ibrahim in die Lagerhalle eines Großhandels, der neoantike Accessoires anbietet. Nach unerbittlichem Feilschen, das beim Lagerverkaufschef von nervösen Lachanfällen bis hin zu empörten Aufschreien führt, kauft er kupferfarbene Elefanten, verschnörkelte Staffeleien, Porzellanvasen und imitierte Porzellaneier mit falschen Goldfüßen für 1456 Euro, abzüglich der 130 Euro für die zurückgegebene Buddhastatue, plus 300 Euro wöchentliche Schuldenabzahlung. Die Elefanten verkauft Ibrahim an Kollegen weiter, auch einige Staffeleien und eine Vase werden auf diesem Handelsweg vertrieben.

Ibrahims Geschäfte werden hauptsächlich unter Berufskollegen abgeschlossen, die für ihn weniger Konkurrenten, als vielmehr überlebensnotwendige Geschäftspartner sind. Jeder verdient am anderen. Wo, zu welchem Preis und ob die Waren schließlich an den Endverbraucher wechseln, läßt sich unmöglich nachvollziehen. Bestimmt aber klettern die Warenpreise unterwegs um einige Stufen nach oben. An der sogenannten Laufkundschaft verdient Ibrahim in der letzten Zeit so gut wie überhaupt nichts, das Geschäft mit Passanten ist minimal. Das steigert den Verkaufsdruck.

Ibrahim bezieht seine Ware in der Regel nicht aus Wohnungsauflösungen und damit gratis, wie viele Leute offenbar annehmen, die deshalb nur auf besonders günstige Angebote eingehen. Wohnungsauflösungen macht er selten, vielleicht einmal im Monat. Den Großteil der Räumungen veranlaßt das Nachlaßgericht, und die Ware landet im Auktionshaus. Für Trödler die günstigste Einkaufsmöglichkeit, da bei den meisten Wohnungsauflösungen nicht viel zu holen ist. Meist bekommt Ibrahim nicht einmal den Grundpreis von 300 Euro für die Räumung und Reinigung. Richtig lukrativ war nur die Wohnungsauflösung am Kaiserdamm. Innerhalb von zwei Tagen konnte er das gesamte Inventar verkaufen, eine Lampe hat allein 500 DM eingebracht. Außerdem fand er noch 200 DM, die unter einem Kopfkissen versteckt waren. Aber das ist jetzt auch schon wieder fünf Jahre her.

Der Wrangelkiez in Kreuzberg ist bekanntlich nicht gerade der Stadtteil mit den bestverdienenden Einwohnern. So läßt Ibrahim die Kunden entscheiden, wieviel sie bezahlen wollen. Es bleibt unklar, ob ihm das Geschäft an sich gar nicht so wichtig ist, er lieber Kaffee trinkt und die Kundschaft mit niedrigen Preisen erfreut, ob der Handel mit den Kollegen eine Goldgrube ist oder ob er sich in einem kommenden Szeneviertel, in welches das Kapital bald in Strömen fließen wird, zukunftssicher fühlt.

Die Sache mit dem Fahrrad und dem Kühlschrank war übrigens ein Versehen, hat Ibrahim mir glaubhaft versichert. Er hatte wohl den Überblick über sein Angebot verloren.

Sonja Fahrenhorst

 
 
 
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