Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Nützliche, lästige Subkultur

Konferenz zur „temporären Nutzung" im Café Moskau

Bis vor kurzem galten Zwischennutzungen noch als kurioses Phänomen der Wilden Neunziger Jahre, das sich erledigt haben dürfte, sobald Berlin eine „normale Hauptstadt" geworden ist. Tatsächlich ist die Stadt von dieser Art Normalität so weit entfernt wie eh und je. Die malerischen Ruinen der Nachwendezeit sind zwar verschwunden, aber die Subkultur, die in ihnen entstand, die halblegalen Clubs, selbstverwalteten Kulturprojekte und improvisierten Atelier- und Bürogemeinschaften blühen und gedeihen. Insbesondere in der Zeit der Wirtschaftskrise ist der Bedarf nach kostengünstigen Provisorien nach wie vor groß – größer jedenfalls als der nach den Hochglanzvierteln, die die offizielle Stadtplanung hervorbringt.

Inzwischen ist dieser Widerspruch Gegenstand stadtsoziologischer Forschung. Seit rund einem Jahr gibt es das internationale Forschungsprojekt „Urban Catalysts" (Studio UC). Das spektakulärste Vorhaben der Gruppe, die Zwischennutzung des Palastes der Republik, droht zwar aus Mangel an Sponsoren und politischer Unterstützung zu scheitern. Nun versucht Studio UC, wenigstens die Fachöffentlichkeit zum Umdenken zu bewegen, und veranstaltete am 25. und 26. April eine internationale Konferenz über „Strategien für temporäre Nutzung". Als Tagungsort diente das Café Moskau, das zur einleitenden Podiumsdiskussion noch nach Bier und Tanzschweiß roch. Der Bau ist ein Paradebeispiel für eine gelungene Zwischennutzung, das hier ansässige WMF ein vorbildlicher Zwischennutzer: Bereits viermal hat der Club widerstandslos sein Domizil gewechselt.

Cafe Moskau
Foto: Matthias Königschulte

Philipp Oswalt, der für Studio UC die Moderation übernommen hatte, begann mit einer Provokation. Seit den Neunzigern würde in Berlin „viel Planung ohne Entwicklung" betrieben, während „wichtige Entwicklungen" grundsätzlich „ohne Planung" stattfinden. So etwas hört weder die Berliner Immobilienwirtschaft noch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gern. Ihre Verteter führten auf dem Podium einen Eiertanz auf: temporäre Nutzungen schön und gut ­ aber bitte nur gelegentlich, irgendwie. Dann lieber Leerstand und Verfall. Diese Haltung hat in Berlin schon viele Projekte und Gebäude ruiniert.

Was tun? Braucht Berlin einen „Stadtenwicklungsplan Zwischennutzung", der als Idee schon vor Jahren durch die Senatsgremien geisterte und dann vergessen wurde? Dann wären die verlassenen Elektrowerke und Tresorkeller, die leerstehenden Lokschuppen, DDR-Ministerien, Großbäckereien und Bürogebäude keine subkulturellen Freiräume mehr, sondern ihrerseits Opfer der ordnungswütigen Planer. „Seid doch froh, daß die Politik sich da raus hält", riet ein Zuhörer und erntete Applaus.

Wie zwiespältig eine politische Verregelung wäre, veranschaulichte unfreiwillig Jutta Kleedorfer vom Wiener Magistrat. Die Stadt Wien verfügt über einen „One-Stop-Office" für Zwischen- und Mehrfachnutzungen, übernimmt die Versicherung zwischengenutzter Brachen, vergibt Bürgschaften und beteiligt sich an der Organisation. Aber die „Indoor-Activities" zur Ergänzung des „Wellness"-Angebots städtischer Parks, die Jugendsport-„Locations" und „Quartierszentren", die da entstehen, klingen kaum nach selbstbewußter Subkultur. Eher wirken sie wie die üblichen sozialarbeiterischen Hübschheiten, die die satt bekannte Aufwertungsstrategie begleiten – Stadtmarketing zum Wohle der Immobilienwirtschaft. Hauptziel der Zwischennutzung sei schließlich, so Kleedorfer, die „Vorbereitung für Neunutzung" und das „Einführen der Location".

Noch deutlicher wurde diese Stoßrichtung am Beispiel Amsterdams, wo gleich ein ganzes Hafenareal per Subkultur zu einem Szenebezirk geadelt werden soll. Zehn Jahre und ein paar Millionen kriegen die Off-Künstler, dann sind die alten Lagerhallen reif für die Vermarktung und müssen geräumt werden. „Die Stadtverwaltung benutzt uns, kein Zweifel", meinte Eva de Klerk, die auf dem Podium die Nutzerseite vertrat. „Aber wir benutzen auch die Stadtverwaltung."

Hier näherte sich die Diskussion der entscheidenden Frage: Wie temporär soll die Nutzung eigentlich sein, wie viel Mobilität ist der Subkultur zuzumuten? Oswalt: „Wäre es einfacher, etwas Neues zu finden, wären die Off-Kultur-Institutionen auch flexibler." Aber was geschieht, wenn die Chaoten einfach dableiben und sich von nützlichen Zwischennutzern in lästige Besetzer verwandeln? Verständlich, daß das Verhältnis von Obrigkeit und Subkultur von Mißtrauen geprägt ist. Verständlich auch, daß gerade die professionellen Planer, die ein Architekt im Publikum als „Hersteller von Immobilien" bezeichnete, mit dem Thema ihre Schwierigkeiten haben. Gegen Ende der Veranstaltung – ein Teil des Publikums zwischennutzte bereits, Bier und Zigarette in der Hand, den Saal als Chill-Out-Zone – erinnerte ein Zuhörer an den Schwarzen Kanal. Die Wagenburg steht auf einer Brache in der Köpenicker Straße und wurde unlängst zur Räumung verurteilt. Kläger: Das Deutsche Architekturzentrum von gegenüber. Begründung: Wertminderung der Immobilie.

Johannes Touché

 
 
 
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