Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wahlkampf als Karneval

Andreas Dresens Dokumentarfilm Herr Wichmann von der CDU

Die von Bayerischem Rundfunk und WDR in Auftrag gegebene Dokumentarfilmreihe Denk ich an Deutschland umfaßt Arbeiten namhafter Regisseure, die sich – durchaus subjektiv – deutscher Lebenswirklichkeit nähern. Andreas Dresen kommt das Verdienst zu, sich für diese Reflexionen nicht eine der allgegenwärtigen Metropolen, sondern die abgelegene Uckermark zum Schauplatz gewählt zu haben – eine Region, die höchstens als Paradebeispiel für die katastrophale ökonomische Lage in Ostdeutschland überregional Erwähnung findet. Ausreichend Aufmerksamkeit wird dem Film dennoch auch im tiefsten Westen sicher sein, gilt doch Dresen spätestens seit seinem Fernsehfilm Die Polizistin und seinem Kinofilm Halbe Treppe als fähiger Filmemacher, der endlich der ostdeutschen Wirklichkeit zur angemessenen Repräsentation verhilft.

Wie derzeit im deutschen Dokumentarfilm üblich, geht es Dresen weniger darum, die Zuschauer mit Informationen zu versorgen. Stattdessen porträtiert er das menschliche Streben in seiner unmittelbaren Umgebung, kommentiert nur durch die Szenenauswahl und den Schnitt. Seine Hauptfigur und deren Geschicke führen uns scheinbar automatisch durch die Handlung, so daß man den Eindruck gewinnen kann, einen Spielfilm zu sehen. Dresen begleitete zusammen mit einem Kamera- und einem Tonmann einen Monat lang den Bundestagsdirektkandiaten der CDU im Kreis Uckermark/Oberbarnim während seines Wahlkampfes. Dessen Chancen stehen schlecht: Sein Konkurrent von der SPD erzielte bei der letzten Wahl immerhin satte 52 Prozent. Doch der 25jährige Student Henryk Wichmann läßt sich nicht beirren und legt unerwarteten Eifer an den Tag, die Passanten in Fußgängerzonen, die wenigen verbliebenen Beschäftigten in kleinen Betrieben und die Insassen örtlicher Altenheime persönlich von seinen Kompetenzen und Konzepten zu überzeugen.

Dresen verzichtet darauf, die spezifische Situation der von Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Rechtsradikalität geprägten Uckermark zu vermitteln. Sie läßt sich gerade einmal aus den Gesprächen zwischen Wichmann und potentiellen Wählern erahnen. Die politische Relevanz von Wichmanns Position, die sich in polemischen Schimpfereien über ökonomiefeindliche Grüne oder das bundesweite Versagen der SPD äußert, wird nur selten sichtbar. Ernstzunehmende Debatten finden in Dresens Film kaum einen Raum. Es bleibt der Eindruck, man hätte es mit einer merkwürdigen Karnevalsveranstaltung zu tun, in der es lediglich darum geht, wie die Werbekugelschreiber beschaffen sein müssen, welche Plakatgröße angemessen ist und ob auf den Plakaten auch der CDU-Schriftzug nicht vergessen worden ist.

Außer Platitüden hat Wichmann nichts zu sagen, nicht einmal, wenn ihn ein Parteikollege auf die längst vergessenen sozialen Bemühungen der Union anspricht. Die Gespräche mit den Wählern haben erwartungsgemäß das Niveau einer Passantenbefragung, wie man sie tagtäglich im Fernsehen erleben darf, wo ahnungslose Spaziergänger vor laufender Kamera zu irgendeinem politischen Thema Position beziehen sollen. Intelligente Zeitgenossen ergreifen offensichtlich bereits die Flucht, wenn sie eine Kamera entdecken. Immerhin setzen Dresen und seine Mitarbeiter nicht auf eine wacklige Handkamera und ein vor den Nasen herumfuchtelndes Mikrophon, sondern beschränken sich auf Wichmanns Ansteckmikro und ein distanziertes Stativ. Dennoch denunziert dieser Film nicht nur den Wahlkampf, was legitim ist, sondern auch die der Kamera ausgelieferten Menschen.

Man kann nur hoffen, die Bewohner in der Uckermark sind klüger, als sie in diesem Film dargestellt werden, und Wichmann nur ein besonders dummes Schaf, das sich dort austoben darf, wo es als CDU-Mitglied ohnehin wenig Schaden anrichten kann. Daß er am Ende seines langen Kampfes gerade mal ein Prozent dazu gewonnen hat, ist jedenfalls eine Erleichterung.

Katrin Scharnweber

> „Herr Wichmann von der CDU" von Andreas Dresen kommt am 10. April in die Kinos

 
 
 
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