Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Juliettes Literatursalon vor dem Aus

Eigentlich sei ja sein Konzept aufgegangen, resumiert der Buchhändler Hartmut Fischer. Die 1997 gegründete Buchhandlung mit kulturwissenschaftlichem Schwerpunkt ist zu einem lebendigen Treffpunkt geworden. Die De Sade-Lesereihe, in der Justine und Juliette, der für den Laden namensgebende, voluminöse Klassiker in extenso vorgestellt wird, hat gerade ihre 100. Ausgabe hinter sich gebracht; Fischer lädt dazu alle 14 Tage Literaten, Wissenschaftler und Künstler ein, die aus dem Buch einfach nur lesen, es kommentieren oder sich zu einer Performance anregen lassen. Überhaupt hat es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von mehr oder weniger spektakulären Veranstaltungen und Ausstellungen in der Gormannstraße gegeben, eine Marathonlesung von Montaignes Essais von Peer Martiny etwa; eine kleine Fotoausstellung zieht gerade Bilanz. Und der Literatursalon wird dem Anspruch seines Namens durchaus gerecht: Bequeme Sitzmöbel laden zum Verweilen ein, das geisteswissenschaftlich-literarische Sortiment zum Stöbern. Man findet in diesem Laden Bücher, die man nicht unbedingt gesucht hat – das beste, was sich über eine Buchhandlung sagen läßt. Nur die ökonomische Grundlage stimmt nicht.

Noch vor zwei Jahren hatte es so ausgesehen, als könnte sich Juliettes Literatursalon auch kaufmännisch etablieren. Doch dann brachen wichtige Stammkunden aus dem kulturwissenschaftlichen Bereich weg, an der Universität wurden Stellen gestrichen, die Veranstaltungen brachten sowieso kein Geld, und die allgemeine Krise tat ein übriges. Im März hat Hartmut Fischer deshalb Insolvenz angemeldet, „ein neuer deutscher Volkssport", wie er sarkastisch anmerkt. Nun gibt es Überlegungen, einen Verein zu gründen, der die Veranstaltungen weiterführen soll. Ansonsten wäre natürlich ein Käufer höchst willkommen – oder Mäzene und Sponsoren als Retter in der Not; noch nicht ganz ausgegorene, aus der Verzweiflung geborene Ideen allesamt. Fischer ist davon überzeugt, mit seinem Literatursalon einen Ort geschaffen zu haben, der eigentlich öffentliche Unterstützung verdienen würde. Daß er darauf lange warten kann, ist ihm natürlich bewußt.

Muß das ernüchternde Resumé also lauten, daß eine ambitionierte Buchhandlung wie Juliettes Literatursalon in Berlin-Mitte nicht existieren kann ­ in der an Läden ja nicht gerade armen Ost-Innenstadt, in der es kaum anspruchsvolle Buchhandlungen gibt? Einmal mehr zeigt sich hier das Berliner Dilemma: Es gibt sie ja durchaus, die Freunde von Juliettes, die Kreativen, die hier Veranstaltungen besuchen und mitgestalten. Aber sie haben kein Geld, um den Laden durch Bucheinkäufe rentabel zu machen. Der Ruf Berlins als aufregendem Ort für Kunst und Kultur zehrt von einer Bohème, die am Rande der Selbstausbeutung existiert.

Noch ist es nicht zu spät, Juliettes Literatursalon durch Bücherkauf zu unterstützen. Die 102. und 103. De Sade-Lesung findet am 15. und am 29. April jeweils um 20.30 Uhr in der Gormannstraße 25 statt.

hb

 
 
 
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