Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Neue Perspektiven: Tellerwäscher in München

Vermarktung der Arbeit (III): Meldepflicht und verschärfte Zumutbarkeitsregeln

Vielleicht muß man demnächst einen Arzt bestechen, um ja noch rechtzeitig auf's Arbeitsamt zu kommen. Vielleicht werden demnächst nicht nur die Ausländer, sondern auch die Arbeitslosen Scheinehen eingehen müssen, um nicht in die Verbannung geschickt zu werden. Und Müllmänner müssen Idiotentests durchlaufen, um nicht zu Universitätsprofessoren degradiert zu werden. Meldepflicht schon vor der Kündigung, Mobilität als Pflicht, Sperrzeiten, Bezugskürzungen und Nachweispflicht für Leistungsanspruch – eine ganze Reihe von Hürden muß man künftig nehmen, wenn man in den Genuß staatlicher Arbeitslosenunterstützung kommen will. All das macht natürlich eine Menge Arbeit. Aber ob es Arbeitsplätze schafft? Weitere Vorhaben aus dem Hause Hartz.

Meldepflicht

Damit die Zeit nach der Kündigung in vollem Umfang für die Suche nach einem neuen Job genutzt werden kann, ist der Arbeitnehmer ab Juli 2003 verpflichtet, sich unverzüglich und persönlich beim Arbeitsamt zu melden, sobald er den Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses kennt. Anders als bisher besteht die Meldepflicht also nicht erst am ersten Tag der Arbeitslosigkeit, sondern sofort nach Erhalt der Kündigung oder der Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag. Bei befristeten Arbeitsverträgen muß sich der Arbeitnehmer bereits drei Monate vor Vertragsende beim Amt melden. Verzögerungen können zur Kürzung des Arbeitslosengeldes über einen Zeitraum von bis zu 30 Tagen führen.

Im Gegenzug wurde von der Hartz-Kommission vorgeschlagen, daß die Arbeitgeber die Gekündigten für die Meldung beim Arbeitsamt, die Arbeitssuche und notwendige Qualifizierungsmaßnahmen gezielt freistellen. Diese Freistellungsverpflichtung für den Arbeitgeber wurde jedoch im Rahmen der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat in eine Soll-Bestimmung geändert. Offenbar hatte man die erschütternde Realität des deutschen Behördenalltags und insbesondere Augenzeugenberichte von Warteschlangenopfern im Blick, die befürchten ließen, der Behördengang würde nicht Stunden, sondern Tage in Anspruch nehmen. Wie man also bei Erhalt der Kündigung der Meldepflicht nachkommt, bleibt der Kreativität der Arbeitnehmer überlassen. Vorsichtshalber sollte man sich einen Tag Urlaub aufsparen oder sich mit einem Arzt anfreunden.

Zumutbarkeitsregeln

Aber diese Neuerung ist noch eher harmlos im Vergleich zu den neuen Zumutbarkeitsregeln, also den Kriterien, nach denen das Arbeitsamt beurteilt, welchen Job ein Arbeitssuchender anzunehmen hat, wenn er nicht Sperrzeiten oder Leistungskürzungen beim Bezug von Arbeitslosengeld in Kauf nehmen will. Hier sind die Regelungen signifikant verschärft worden: Finanzielle und funktionale Zugeständnisse werden den Arbeitssuchenden abverlangt. Ihnen werden schlechter bezahlte und weniger qualifizierte Tätigkeiten sowie längere Arbeitswege, ja sogar komplette Umzüge zugemutet. Mit dem Ziel, regionale Schwankungen von Arbeitslosenzahlen auszugleichen, wird mehr Mobilität gefordert, sprich: die Bereitschaft, in einen anderen Teil Deutschlands umzusiedeln.

Wird vom Arbeitsamt prognostiziert, daß der Jobsuchende innerhalb von drei Monaten in seiner bisherigen Region nicht zu vermitteln ist, kann ihm ­ jedenfalls dann, wenn keine familiären Bindungen bestehen ­ ein Umzug zugemutet werden. Er erhält dann ein zinsloses Darlehen von bis zu 1000 Euro und bekommt die Umzugskosten erstattet. Der Umstand, daß dies so detailliert geregelt ist, läßt darauf schließen, daß dieses Instrument auch tatsächlich weitflächig eingesetzt werden wird.

Die sozialen Kriterien der Zumutbarkeit und die konkrete Handhabung der Sanktionen wurden in den bisherigen Vorschlägen hingegen nicht präzisiert. Dadurch werden den Sachbearbeitern weite Ermessensspielräume belassen, obwohl die zu berücksichtigenden Kriterien je nach persönlicher Lage des Arbeitslosen variieren und damit schwer zu überprüfen sind. Es ist auch noch unklar, wie ein System von Sperrzeiten und Leistungskürzungen entwickelt werden soll. Ein filigranes System individueller Sanktionen, wie es sich hier abzeichnet, ist praktisch schwer umsetzbar. Nach rechtsstaatlichen Maßstäben ist ein umfassender Katalog auf gesetzlicher Basis vonnöten. Denn die Behörden gestatten sich sehr weitgehende Eingriffe in die private Lebensgestaltung.

Verfassungsrechtliche Bedenken wirft auch die Neuregelung der funktionalen Zumutbarkeit im Sinne beruflicher Statusminderung auf. Einschränkungen des Grundrechtes auf Freiheit der Berufswahl sind nur ausnahmsweise und auch nur zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter zulässig. Ob die gesetzliche Neufassung diesen Maßstäben genügt, werden die Gerichte sicher bald zu entscheiden haben; Streitpotential birgt das Gesetz allemal.

Zwar mögen die Absichten des Gesetzgebers nachvollziehbar erscheinen, doch ist kaum zu erwarten, daß die Arbeitsämter mit ihrer derzeitigen Personalausstattung angemessen auf die neuen Zumutbarkeitsregeln reagieren können. Hier offenbart sich ein Schwachpunkt, der symptomatisch für die gesamte derzeitige Reformpolitik ist: Um am Arbeitsmarkt etwas zu verbessern, bedürfte es nicht nur Eingriffe in die Gesetzgebung, sondern auch einer grundlegenden Erneuerung der Arbeitsweise der Ämter. Die Hartz-Reform dagegen geht von Ausgangsbedingungen aus, die nicht hinterfragt werden, und bleibt damit lediglich Stückwerk. Zwar werden auch seitens der Verwaltung Änderungen in Angriff genommen, eine sachgerechte Anwendung der neuen Zumutbarkeitsregeln würde aber vor allem mehr und besser ausgebildetes Personal erfordern. Bei der Lage der öffentlichen Finanzen ist zur Zeit aber eher das Gegenteil zu erwarten.

Umkehrung der Beweislast

Neu im Gesetz verankert ist auch, daß die Beweislast für die Verweigerung einer Arbeitsaufnahme umgekehrt wird. Bisher mußte das Arbeitsamt ­ bevor es Sanktionen einleiten konnte ­ beweisen, daß der Arbeitslose sich versicherungswidrig verhalten, die Arbeitslosigkeit schuldhaft herbeigeführt oder deren Beendigung absichtsvoll vereitelt hat. Seit dem 1. Januar 2003 muß nun der Arbeitslose im Streitfall nachweisen, daß er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, will er keine Kürzungen der staatlichen Bezüge in Kauf nehmen. Da zunächst also das Arbeitsamt bis zum Nachweis des Gegenteils davon ausgehen kann, daß der Arbeitslose keinen Leistungsanspruch hat, kann man durchaus davon sprechen, daß die Hebelverhältnisse sich stark zu Ungunsten derjenigen verschoben haben, die von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht sind. Ob dies tatsächlich zum Abbau von Arbeitslosigkeit führt oder nicht einfach nur zur sozialen Verelendung, bleibt abzuwarten. Zu Optimismus besteht jedenfalls kein Anlaß.

Berit Kurnatowski

 
 
 
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