Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Keine Angst!

Nazis, Trinker und Sozialarbeiter auf dem Helmholtzplatz

Im dichtbesiedeltsten Wohngebiet von Prenzlauer Berg, im Karrée zwischen Duncker-, Lychener, Raumer- und Lettestraße, liegt der Helmholtzplatz. Auf der kleinen, parkähnlichen Anlage spiegeln sich deutlich die sozialen Widersprüche im Kiez. Die Platznutzer könnten unterschiedlicher nicht sein: Während in den schicken Lokalen ringsherum der Bierpreis um die 3 Euro und mehr liegt, kippen die Alkis auf dem Platz billiges Sternburger. Davon lassen sich die jungen Eltern auf der westlichen Platzhälfte wenig beeindrucken: Den Sandkasten mit den Spielgerüsten für die Kleinen schützt ein niedriger Zaun vor den Hunden der Trinker und Durchgeknallten.

Es gibt Tischtennisplatten, einen Bolzplatz für Halbwüchsige, und auf dem östlichen Rasenbuckel halten Studenten ihr Gesicht in die ersten Sonnenstrahlen. An sonnigen Tagen findet man hier das gleiche kuschlige kollektive Wohlbefinden wie früher beim FDGB- Urlaub am Ostseestrand. Nach vielen konzeptionellen Auseinandersetzungen und z.T. spektakulären Solidarisierungsaktionen gegen die Ausgrenzung der Trinker scheint der Helmholtzplatz inzwischen zu funktionieren. Man respektiert sich gegenseitig und hält sich an die Regeln.

Das kleinteilige Nebeneinander der unterschiedlichen Nutzer wird gestützt von den Angeboten und sozialen Projekten auf und um den Helmi. Wie labil das Gleichgewicht allerdings wirklich ist, zeigen mehrere Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund. Am 28. Februar griffen Betrunkene eine koreanische Frau an. Sie zerrten sie vom Fahrrad, schlugen auf sie ein und beschimpften sie mit rechtsradikalen Parolen. Der Vorfall ereignete sich mittags in der Raumerstraße, direkt am Helmholtzplatz. Anwohner und Passanten griffen sofort ein, und einer der drei Männer konnte verhaftet werden. Die Angreifer halten sich fast ständig auf dem Helmholtzplatz auf. Sie haben sich der Gruppe der Trinker angeschlossen, die dort ihren festen Aufenthalt haben und die sich gegen die äußerst gewalttätigen Männer nicht zur Wehr setzen können.

Die Polizei scheint nicht in der Lage, wirksam Schutz zu gewähren. Die Männer und Frauen, die im Platzhaus arbeiten oder die sich auf dem Platz aufhalten, sind mehrfach angegriffen worden und fühlen sich mit der permanenten Bedrohung alleingelassen. Auf einer von der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz initiierten Veranstaltung appellierte ein Polizeivertreter vor allem an den Bürgersinn. Die Mitarbeit der Bevölkerung sei unbedingt notwendig und die polizeilichen Möglichkeiten begrenzt. Die rechtsradikalen Hintergründe der Angriffe werden von der Polizei meist nicht zur Kenntnis genommen, so der Vorwurf der Betroffenenvertretung.

Aufgrund der angespannten Situation lebt die alte Forderung wieder auf, direkt auf dem Platz Sozialarbeit anzubieten. Derzeit unterstehen die einzelnen Gebäude und die Fläche unterschiedlichen Ressorts des Bezirksamtes, die kaum miteinander in Kontakt zu stehen scheinen. Die Betroffenenvertretung fordert dennoch ein sozial orientiertes Gesamtkonzept ein. Der Zeitpunkt scheint günstig: Eines der beiden Gebäude auf dem Helmi, das sogenannte Platzhaus, steht nur noch bis Ende Mai unter der Trägerschaft der Kulturinitiative Förderband e.V. Das andere Gebäude, ein ehemaliges Trafohaus, wurde mit Mitteln der Sozialen Stadterneuerung ausgebaut. Das Bezirksamt favorisiert für das inzwischen fertiggestellte Haus eine gewerbliche Nutzung. Die Betroffenenvertretung bemühte sich, das Interessensbekundungsverfahren zunächst zu stoppen.

Das Verfahren für das Trafohaus konnte jedoch nicht mehr gestoppt werden. Am 19. März stellten sich die beiden vom Bezirksamt favorisierten Bewerber im Rahmen der BVV der Öffentlichkeit. Matthias Köhne, Bezirksstadtrat für Umwelt, Wohnen und Bürgerdienste machte auf der Veranstaltung deutlich, daß von den Betreibern des Trafo-Hauses keine Lösung für die Konflikte auf dem Helmholtzplatz zu erwarten sei. Das Verfahren sei abgeschlossen und vor den Osterferien werde entschieden, wer den Zuschlag bekomme. Eine Zusammenlegung dieses Verfahrens mit dem des Platzhauses komme nicht in Frage: „Wenn dies hier abgeschlossen ist, können wir uns in aller Ruhe den weiteren Problemen auf dem Platz widmen."

Weiterhin offen bleibt der aktuelle Umgang mit den Nazis. Alle beteiligten Gruppen hoffen auf Rettung von außen: Die Betroffenenvertretung setzt auf Sozialarbeit, die Polizei auf den Bürgersinn, das Bezirksamt auf die kleinteilige Mischung, die Trinker auf „die Presse". Eine der beiden Bewerberinnen, die Betreiberin des Kinder-second-hand-Ladens „Bella, Boss und Bulli" bringt es auf den Punkt. Befragt nach der explosiven Mischung auf dem Platz erwiderte Ulli von Lenski: „Das ist mein Kiez. Ich habe keine Angst hier, und ich lasse mir auch keine Angst machen!"

Anke Engelmann

 
 
 
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