Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Literaturhaus auf Sparflamme?

Am 28. Februar verabschiedete sich Herbert Wiesner, der das Literaturhaus in der Fasanenstraße Mitte der achtziger Jahre gegründet und dann nicht weniger als 17 Jahre geleitet hatte, mit einem H. C. Artmann-Abend. Aus diesem Anlaß fanden sich in der Gründerzeitvilla die besseren Köpfe der Berliner Literatur ein, um Artmann-Gedichte zu lesen: u. a. Adolf Endler, Elke Erb und Ulf Stolterfoht – nicht die Tim Staffels und David Wagners, die die Literaturstadt Berlin zwar zu einem Gerücht in den Feuilletons gemacht haben, den Hype der „Berlin-Literatur" jedoch mit keinem ästhetischen Sinn zu füllen vermögen.

Wiesner dagegen setzte immer auf Qualität und Kontinuität, im Zweifelsfall auf Bewährtes. Seine Programme mögen ­ etwa im Vergleich zur literaturWERKstatt ­ nicht immer die innovativsten und entdeckungsfreudigsten gewesen sein, auch nicht die originellsten. Der heute 66jährige Literaturkritiker setzte sich jedoch, und das ist kein geringes Verdienst, konsequent für das Schwierige und Ambitionierte nicht nur in der deutschsprachigen Literatur ein: für Paul Wühr, Marianne Fritz oder Inger Christensen. Er vertraute dabei auf die Kraft des gesprochenen Wortes, während die Kollegen von der literaturWERKstatt mit Internet, Multimedia und Gruppenreisen im Zug die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen suchten.

Herbert Wiesner, der gerne darauf verweist, mit seinem Projekt den heute inflationär verwandten Begriff Literaturhaus eigentlich erst etabliert zu haben, beharrt darauf: „Es gibt nur ein Literaturhaus in Berlin." Das Profil seines Hauses, daran zweifelt er nicht, hebe sich deutlich von Institutionen wie dem Literarischen Colloquium (LCB) am Wannsee oder dem Literaturforum im Brecht-Haus ab, sei Ergänzung und keine Konkurrenz.

Wiesner verläßt ein Haus, das ­ freilich nicht durch sein Verschulden ­ in letzter Zeit in schwieriges Fahrwasser geraten ist. Als er 1985 nach Westberlin kam, stand die Schließung des LCB zur Diskussion. Die konnte damals abgewendet werden. Thomas Flierl will den beiden Häusern jetzt eine teilweise Zusammenlegung ihrer Verwaltung oktroyieren. Wie das gehen könnte, und wo hier überhaupt sinnvolle Einsparungspotentiale liegen sollen, sieht man weder am Wannsee, noch in der Fasanenstraße. Im Moment wird noch verhandelt.

Der Hausherr geht nun ein halbes Jahr vor Ablauf seines Vertrages, um auf diese Weise wenigstens die Etatkürzungen für 2003 aufzufangen ­ in einem Moment, in dem seine Nachfolge nicht abschließend geregelt ist. Daß man Ernest Wichner, seit 1988 Wiesners Stellvertreter, nur zum kommissarischen Leiter für ein Jahr ernannt hat, empfindet er als halbherzig, wenngleich er mit einer endgültigen Inthronisierung Wichners nach Jahresfrist rechnet.

Obwohl Wichner für Kontinuität im Literaturhaus steht, wird sich dort bald einiges ändern müssen: Nach dem Ausscheiden des Gründungsdirektors wird Wichner alleiniger Programmverantwortlicher sein, eine zweite Stelle wird es nicht mehr geben. Damit ist nicht weniger als die Eigenständigkeit des Hauses in Frage gestellt. Wichner wird sich, weil die Aufgabe mit nur einer Stelle nicht zu bewerkstelligen ist, um Drittmittel bemühen müssen, die Zusammenarbeit mit Kulturinstituten und Verlagen suchen, die dann die Villa, in der auch ebenso ambitionierte wie kostspielige Literaturausstellungen stattfinden, als schicken Veranstaltungsort benutzen werden.

Ob eine sinnvolle, inhaltliche Arbeit dann noch möglich sein wird, scheint fraglich. Still und heimlich droht hier einer weiteren Institution das Wasser abgegraben zu werden ­ einer Institution, der es an einer vernehmbaren Lobby fehlt; das Literaturhaus ist nicht so groß und so wichtig wie die Opern und die Theater, dabei nicht so schick wie das Podewil und liegt noch nicht einmal im Osten.

hb

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  Ausgabe 2 - 2003