Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1903

6. März bis 2. April

Zum Königlichen Leihamt zu Berlin finden sich interessante Daten in einer Statistik über den Geschäftsumfang. Sie lassen erkennen, aus welchen Berufsständen sich die Besucher dieses Leihamtes und seiner Filialen in der Klosterstraße 39 und der Linienstraße 98 zusammensetzen, sowie welche Gegenstände am meisten versetzt werden. So ergibt sich aus der Zusammenstellung eines Monats, daß das Leihamt von 32 Pfandleihern und Kommissionären aufgesucht wurde, von 1806 Handwerkern und Handeltreibenden, 279 Tage- und Fabrikarbeitern, 31 Rentiers und Grundbesitzern, 53 Künstlern (Schauspieler, Maler usw.), 22 Studenten, 21 Gelehrten (Professoren, Lehrer, Ärzte, Literaten usw.), 118 Beamten des Staates und der Kommunen, sowie endlich 638 Witwen und unverheirateten weiblichen Personen. Hauptsächlich werden Gold- und Silbersachen versetzt, es folgen Wäsche, Stoffe, Pelze, Kleidungsstücke und unedle Metalle, Uhren, Schmucksachen, sowie Juwelen und Papiereffekten.

Zur Verhaftung des Raubmörders Itzig Weber-Leszczynski, der am 17. Dezember vorigen Jahres die Frau Budwig in der Rosenthaler Straße 16-17 ermordete, werden noch bemerkenswerte Einzelheiten bekannt. Die russische Behörde in Kalisch hat ein Bildnis des Verhafteten nach Berlin gesandt, das den Personen vorgelegt wurde, die mit dem Leszczynski hier in Berührung gekommen waren. Alle erkannten den Mann mit Bestimmtheit wieder, namentlich an dem stechenden Blick und dem negerartigen Kopf. Auch der Musterstecher Warzki aus London, auf dessen Veranlassung jener in Kalisch verhaftet wurde, hat seine Aussage hier in Berlin niedergelegt. Warzki wurde mit Weber in London bekannt und erfuhr später, als er nach Lodsch zu Verwandten reisten, von Gendarmen in Kalisch, daß man nach einem Mörder aus Berlin fahnde, der vermutlich die russische Grenze überschreiten würde. Aus der ihm gegebenen Beschreibung erkannte Warzki den Weber, mit dem er Tags zuvor in einem Kaffeehaus zusammengetroffen war. Weber hatte sich in Begleitung zweier Frauenspersonen befunden. Warzki wollte den Verfolgten über die preußische Grenze locken, suchte ihn auf und teilte ihm mit, daß er Geschenke für seine Verwandten auf deutscher Seite habe, die zollpflichtig seien und von ihm durchgeschmuggelt werden sollten. Warzki versprach Weber 10 Rubel, wenn er den Schmuggel durchführe. Weber besaß eine auf den Namen Hermann Lepper lautende Grenzkarte, die den Schmuggel erleichtern sollte. Die Sache sollte am nächsten Tag vor sich gehen. Als aber Warzki in einer Droschke nach Verabredung bei ihm vorfuhr, hatte Weber anscheinend Verdacht geschöpft und schützte eine Geschäftsreise nach Warschau vor. Jetzt blieb nur übrig, seine Verhaftung durch die russische Polizei bewerkstelligen zu lassen. Als man ihm den Mord auf den Kopf zusagte, bestritt er die Tat und nannte sich Lepper. Da er aber Wertsachen versetzt hatte, die aus dem Raubmord in Berlin herrührten, blieb er in Haft. Auf die Bemerkung, daß er nach Berlin ausgeliefert würde, gab er an, russischer Untertan zu sein und Leszczynski zu heißen. Mehrere Verwandte aus der Umgegend von Kalisch wollten ihn nicht mit Bestimmtheit erkennen; dagegen trat eine Tante Gutermann, geborene Weber, und ein Spielkamerad des Verhafteten, ein Soldat, mit der Behauptung auf, daß er Weber, nicht Leszczynski heiße. Der Mörder ist sehr ruhig und freut sich, daß er nur nach russischen Gesetzen bestraft wird.

Das Wappen der Stadt Berlin hat viele Veränderungen erfahren. Zur Zeit gilt noch das im Jahr 1709 verliehene. Es zeigt gespalten, vorn rechts, vom Standpunkt des Beschauers links, den schwarzen preußischen, hinten links den roten brandenburgischen Adler, beide im silbernen Feld. Unten in einer eingepropften Spitze befindet sich der schwarze Bär in silbernem Feld. In früheren Siegeln und Wappenabdrücken der Stadt Berlin erscheint der Bär fast immer mit einem Halsring, dieser ist ihm jedoch durch einen Beschluß des Berliner Magistrats vom Jahr 1875 genommen. Im Jahr 1839 wurde der Spitze mit dem Bären im Stadtwappen eine Mauerkrone aufgesetzt. Hierdurch ist dieser Teilschild des Wappens gewissermaßen zu einem neuen, selbständigen Wappenschild geworden, und dieser wird auch als kleines Wappen Berlins allein geführt.

Falko Hennig

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