Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

Das wahre Ich im kapitalistischen System

Vermarktung der Arbeit (II): Ich-AG und Mini-Jobber

Ich-AG

Frei nach Beuys, der bekanntlich jeden Menschen für einen Künstler hielt, hat die Hartz-Kommission entdeckt, daß in jedem Arbeitslosen ein Kleinunternehmer steckt. Unter dem schwungvollen Namen „Ich-AG" soll nach den nunmehr geltenden gesetzlichen Regelungen im Sozialgesetzbuch jeder Arbeitslose bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit einen nicht unbeträchtlichen monatlichen Existenzgründerzuschuß erhalten.

Die Idee ist nicht grundlegend neu ­ auch wenn die Bezeichnung nach Revolution und Umsturz klingt, nämlich nach großem Geld für kleine Leute ­ aber gut ist sie allemal. Im Hartz-Papier wird die neue Förderung als Vorstufe zu einer vollwertigen Selbständigkeit oder auch als „kleine" Selbständigkeit definiert und zielt auf das Gros derjenigen Arbeitslosen, die mit ihren alltagspraktischen Fertigkeiten den großen Bedarf an kostengünstigen Dienstleistungen befriedigen sollen.

Im Kern geht es darum, daß Leute, die Leistungen vom Arbeitsamt erhalten haben und sich selbständig machen, bis zu drei Jahre lang einen Zuschuß bekommen, der jeweils längstens für ein Jahr bewilligt wird. Voraussetzung ist, daß der zu erwartende Jahresgewinn 25000 Euro nicht übersteigt; außer mitarbeitenden Familienangehörigen dürfen keine Arbeitnehmer beschäftigt werden. Der Zuschuß beträgt im ersten Jahr 600, im zweiten Jahr 360 und im dritten Jahr 240 Euro. Diejenigen, die sich mit Hilfe des Existenzgründerzuschusses selbständig machen, unterliegen der neuen Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und zahlen als freiwillige Mitglieder in der Krankenversicherung einen geringeren Beitrag als andere Selbständige ­ unter anderem für diese Beitragszahlungen zur Sozialversicherung soll der Zuschuß verwendet werden. Darüber hinaus werden die Einnahmen aus der aufgenommenen selbständigen Tätigkeit pauschal mit 10 Prozent besteuert. Damit diese Form der Selbständigkeit möglichst unbürokratisch umgesetzt wird, sollen Vereinfachungen im Steuer- und Handwerksrecht hinzukommen. Unter anderem könnte demnächst der Meisterzwang unter Beschuß geraten.

All diese Neuerungen sind sicherlich sinnvoll. Es stellt sich aber die Frage, wieso man nur als Arbeitsloser in den Genuß der steuer- und versicherungsrechtlichen Begünstigungen kommen soll. Hier liegt der Verdacht nahe, daß es nicht um nachhaltige Verbesserungen der Unternehmens- und Wirtschaftsstruktur geht, sondern ausschließlich darum, möglichst viele Arbeitslose aus der verräterischen Statistik zu eliminieren.

Daß aber die Senkung der Arbeitslosenzahlen mit einer zielstrebigen Wirtschaftspolitik Hand in Hand gehen müßte, ist wohl offenkundig. Wenn also nicht im großen Stil der Mittelstand entlastet wird, kann man auch gleich das Geld aus dem Fenster schmeißen oder ­ noch hoffnungsloser ­ in den großen leeren Schlund des Berliner Haushalts.

Fragwürdig ­ und von zahlreichen Fraueninitiativen kritisiert ­ ist der Passus der familienhaften Mithilfe im Rahmen der „Familien-AG". Hier besteht die Gefahr, daß die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung verstärkt wird. Aber vielleicht sollte man das nicht so negativ sehen, denn wenn Muttchen im Kiosk arbeitet oder die Buchhaltung besorgt, muß sie nicht ihrem Alten die Pantoffeln hinterherräumen. Außerdem steht die Förderung allen offen ­ der Spieß läßt sich also auch umdrehen: Plätzchen backen kann man auch dem dümmsten Ehemann beibringen.

Mini-Jobber

Steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Erleichterungen stecken auch hinter der sogenannten „Mini-Job"-Initiative. Ziel dieser Förderung ist es, Einkünfte aus Schwarzarbeit zu legalisieren, die nicht auf eine selbständige Beschäftigung als Vollerwerbsquelle abzielen. Dem betroffenen Personenkreis soll die Gelegenheit zum Einstieg in eine reguläre Beschäftigung gegeben werden ­ Amen!

Dafür sollte nach den Plänen der Hartz-Kommission die steuerfreie Geringfügigkeitsgrenze bei „haushaltsnahen" Beschäftigungen (Babysitten, Putzen etc.) von bisher 325 auf 500 Euro angehoben werden. Außerdem wird eine Sozialversicherungspauschale für Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von 10 Prozent eingeführt, die der Arbeitgeber trägt. Im Zuge der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß setzte sich jedoch die Unionsfraktion mit ihrer Forderung durch, den Einkommensumfang der Mini-Jobs auf bis zu 800 Euro auszuweiten. Auch die Begrenzung auf den haushaltsnahen Bereich wurde aufgegeben.

Herausgekommen ist bei diesem Kompromiß ein relativ kompliziertes Geflecht steuerlich geförderter Arbeitsverhältnisse; die Regelung tritt nun ­ wegen des Umstellungs- und Programmierbedarfs bei den beteiligten Versicherungsträgern und Behörden ­ erst am 1. April diesen Jahres in Kraft. Damit wird nun auch in deutschen Landen der seit längerem diskutierte Niedriglohnsektor fest verankert. Willkommen in der Dienstbotengesellschaft.

Der erwartete Effekt der Verringerung der Arbeitslosenzahlen dürfte allerdings deutlich geringer ausfallen als geplant. Erstens ist für die Arbeitgeber die Versuchung groß, bisher reguläre Arbeitsverhältnisse durch Mini-Jobber zu ersetzen. Zweitens sind die Anreize für Arbeitslose gering, ihren bisherigen Status für einen Mini-Job aufzugeben. Sollten sich die erwarteten positiven Effekte im Hinblick auf die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen nicht einstellen, wäre die gesamte Idee ein Puff im Wind. Und die Steuermindereinnahmen würden dem Wirtschaftshaushalt der Republik – und natürlich der Sozialkassen – beträchtlich schaden. Kleiner Trost: An dem Schlamassel wäre dann auch die CDU schuld.

Berit Kurnatowski

© scheinschlag 2003
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 2 - 2003