Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Wenn die Perle von der Leiter fällt

Polnische Putzfrauen und ihre Chefs

„Die Geschichten von polnischen Emigranten – solche, die regelmäßig pendeln oder solche, die in Berlin leben – hört man, wenn man zum Beispiel mit der S-Bahn fährt", erzählt Joanna Bednarski aus Szczecin, die seit zwölf Jahren in Berlin lebt. Und es sei erstaunlich, wie oft man sie hört. Die Leute fühlen sich unbeobachtet, sie gehen davon aus, daß man polnisch nicht versteht.

Die meisten Geschichten handeln vom Arbeiten oder von der Art der Unterbringung in Berlin. Da gibt es abenteuerliche Quartiere ­ Zwei-Zimmerwohnungen, die Polen angemietet haben und zu enormen Preisen an gern ein dutzend andere Polen weitervermieten. Die schlafen dann dort nachts in Etagenbetten. Am Tage gehen sie arbeiten. Jobs auf Baustellen und in Haushalten, nicht versichert und nicht registriert, aber seit langem ein selbstverständlich gewordener Bestandteil der Berliner Ökonomie.

Doch das Geben und Nehmen auf Vertrauensbasis will gekonnt sein. Sind in ärmeren Ländern derartige Verhältnisse lange Alltag, sind die Pfade abseits bürokratischer Regelwerke hierzulande Exkursionen ins Bizarre: So kam es vor kurzem zu der absurden Situation, daß eine illegal beschäftigte polnische Putzfrau ­ nachdem mit ihren Arbeitgebern absolut nicht zu reden war ­ den Beistand eines deutschen Gerichts in Anspruch nahm, um zwei Selbstverständlichkeiten zu erstreiten. Erstens ihren Lohn ­ und zweitens Schadensersatz für unterlassene Erste Hilfe nach einem Unfall. Barbara Sobota hatte die Speisekammer aufgeräumt und sich am Finger verletzt. Ihr Hausherr hatte sie in eine Klink gebracht, als es schon viel zu spät war. Der Finger wurde amputiert. Dabei ist zu bemerken: Der Hausherr war Arzt. Frau Sobota sei am Ende völlig mit den Nerven herunter gewesen, sagt ein Mitarbeiter des polnischen Sozialrats, an den sie sich gewandt hatte. Nicht nur wegen des Fingers, sondern allein schon „wegen der menschlichen Niveaulosigkeit".

Trotz waghalsiger Manöver ihrer Arbeitgeber, sich aus der Affäre zu ziehen – Frau Sobota hätte mit ihnen in einer Art WG gelebt und in diesem Rahmen auch mal abgewaschen oder aufgeräumt – gab der deutsche Richter der Klägerin recht. Zumindest wurde hochoffiziell anerkannt, daß sie mit dem Ehepaar nicht in einer WG gelebt, sondern eben als Putzfrau gearbeitet hatte. Auf dieser Grundlage kann sie nun ihren Lohn und wahrscheinlich auch Rentenzahlungen und Schadensersatz einklagen.

Barbara Sobotas Fall kam in die Zeitungen und schließlich ins Fernsehen. In der Sendung „Stern TV" berichtete dabei unter anderem Conny Roth vom Polnischen Sozialrat über die Möglichkeit, auch illegale Haushaltshilfen bei den jeweiligen Landesunfallkassen regulär versichern zu lassen. Und zwar, ohne daß diese Kassen ihre Daten an Dritte weitergeben und ohne daß der Name der versicherten Person angegeben werden muß. Nach der Sendung liefen beim polnischen Sozialrat die Telefone heiß. Ausnahmsweise waren es Deutsche, die Beratung ersuchten: Nicht wenige erwarteten vom Polnischen Sozialrat, er könne ihnen eine der begehrten polnischen Putzhilfen vermitteln. Die restlichen Anrufer wollten wissen, wie sie ihre illegale Putzhilfe richtig versichern können.

Die unbürokratisch und günstig gewährte Arbeitskraft steht hoch im Kurs ­ vor allem in Haushalten. In Deutschland beschäftigen 2,7 Millionen Haushalte regelmäßig Putzfrauen, 38000 davon sind bei der Sozialversicherung angemeldet (Berliner Institut für Wirtschaftsforschung, 1999). In Berlin sind viele dieser Haushaltshilfen Polen.

Doch was einerseits heiß begehrt ist, bleibt andererseits derart in die moralische Schmuddelecke verbannt, daß über eine faire Behandlung der illegalen Putzfrauen noch nicht mal gesprochen werden kann. So rechtfertigte sich eine jener Unfallkassen, die meinte, ob des Putzfrauenthemas unlauter ins Gerede gekommen zu sein, folgendermassen: „Schwarzarbeit im Haushalt ist in die Diskussion geraten. ...Sogar die altehrwürdige Hessenschau hat sich des Themas angenommen." Es folgt eine umständliche Aufklärung über den gesetzlichen Auftrag von Unfallkassen, der eben ­ qua Gesetz ­ für jegliches Arbeitsverhältnis gilt, und mündet dann unverblümt ins Praktische: 90 Euro Jahresbeitrag für „die Perle" und man sei alle Sorgen los. „Stürzt Ihre Putzfrau beim Fensterputzen von der Leiter ­ Sie haben keinen Ärger damit." Und damit ist ja eigentlich alles gut.

Die „ZAPO", die Anlaufstelle für legal wie illegal beschäftigte Polen beim Polnischen Sozialrat, startete 1997 mit 13 ABM-Stellen, arbeitet momentan noch mit vier Arbeitskräften und bekommt ab März noch zwei SAM-Stellen gewährt. Es ist eine der wenigen Stellen, wo in Berlin unverkrampft, alltagsnah und ehrlich über die menschliche Seite der „Schattenökonomie" gesprochen wird, „Es ist weniger die Frage, ob man illegale Arbeit unterstützen soll – es gibt sie einfach – es muß vielmehr darum gehen, zu verbreiten, welche Rechte illegal Arbeitende in Anspruch nehmen können", sagt dazu Mariusz Bednarski, der hier Berater ist. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit der Unfallversicherung. Dazu gehören ebenfalls die Leistungen von Berufsgenossenschaften – etwa für Bauarbeiter – die gleichermaßen für angemeldete wie für nicht angemeldete Arbeitende gelten. Und dazu gehört nicht zuletzt die Tatsache, daß auch illegal Beschäftigte Rechte einklagen können. „Die Arbeitsgerichte interessiert nicht, welchen Status der Kläger hat", sagt Bednarski. „Wir haben noch nicht erlebt, daß ein Kläger anschließend abgeschoben wurde."

Tina Veihelmann

> Polnischer Sozialrat – ZAPO, (Zentrale Anlaufstelle für Pendler aus Osteuropa), Oranienstraße 34, Hinterhaus, 2. Stock, fon 6151717

> Informationen über Unfallschutz für Haushaltshilfen: Bundesverband der Unfallkassen, Fockensteinstr. 1, 81539 München

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