Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Auf den freien Markt entlassen

Der soziale Wohnungsbau geht zuende ­ was kommt danach?

Die Krise der Berliner Staatsfinanzen hat auch ihr Gutes. Am 4. Februar beschloß der Senat, bei 25000 Sozialbauwohnungen der Jahrgänge 1987 bis 1997 die sogenannte Anschlußförderung zu streichen. Nicht einmal eine klitzekleine Abschlußförderung hatte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, der das System als „eine der Grundlagen für das Überleben des von West-Berlin als freie Stadt" bezeichnete, noch durchsetzen können – so gründlich satt hatte man diesen Klassiker unter den Berliner Bauskandalen. Jahrzehntelang hatte das Fördersystem für einen völlig unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand, exorbitante Baukosten und eine bis in die Ewigkeit wachsende Belastung des Landeshaushalts gesorgt. Dabei sind die so üppig subventionierten Wohnungen nicht wirklich schön, nicht wirklich haltbar und für die Mieter nicht einmal wirklich billig. „Sozialbauwohnungen heißen so, weil sie nur das Sozialamt bezahlen kann", sagt man in den Vierteln Berlins, die echte Armut kennen.

Die Verschwendung hatte System. Ein Bauherr im sozialen Wohnungsbau wurde zunächst mit Investitionskrediten gefördert; zusätzlich erhielt er sogenannte Aufwandsdarlehen ­ und zwar so lange, bis die allmählich ansteigenden Mieten die Kosten deckten. Schon in der Theorie dauerte dieser Prozeß über 30 Jahre, in der Praxis eher das doppelte. Alle 15 Jahre gab's einen Nachschlag: die Anschlußförderung.

Die Investoren füllten nicht nur sich selbst die Taschen. Der Bauwirtschaft zahlten sie mit den Steuergeldern völlig überhöhte Baupreise, die Banken machten sie glücklich, indem sie auch die ungünstigsten Kredite einfach weiterlaufen ließen, statt sie umzuschichten. Der Staat zahlte, Kontrollen fanden nicht statt. Hier einmal paßt das Wort: Sozialschmarotzer.

Durch den Senatsbeschluß entgehen den Wohnungsbauunternehmen in den nächsten 15 Jahren über 3,2 Milliarden Euro. Vielen von ihnen droht nun der Konkurs. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Oliver Schruoffeneger, hält Mitleid aber für unangebracht. Nach seinen Berechnungen haben die Anleger schon jetzt einen satten Gewinn eingefahren. Und viele der Unternehmen wären ohnehin demnächst pleite gegangen.

Dennoch: Für die Wohnungswirtschaft steigt der Druck, wirtschaftlich zu arbeiten. Und da mit der Förderung natürlich auch die Mietpreisbindung endet, werden die Unternehmen die Miete erhöhen, bis es knirscht. Der Senat rechnet mit durchschnittlich zwei Euro Mietsteigerung. Aber schon die sogenannte „örtliche Vergleichsmiete" würde bei vielen Wohnungen eine Erhöhung um rund 4 Euro bedeuten. Die Mietervereine sind besorgt.

Mit seinem Maßnahmenbündel zum Mieterschutz vom 12. Februar bemühte sich der Senat um Ausgleich. Um dem Mieter die „Gelegenheit" zu geben, „innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist von zwölf Monaten sich eine neue Wohnung zu suchen", übernimmt das Land die kurzfristigen Mietsteigerungen der nächsten Monate. Zweitens zahlt es „in Härtefällen" bis zu fünf Jahre lang einen ­ jährlich sinkenden ­ Mietausgleich. So sollten, wie die Berliner Zeitung berichtete, die Betroffenen die „Möglichkeit" erhalten, sich „an steigende Mieten zu gewöhnen". Und drittens hilft die Investitionsbank Berlin bei der Wohnungssuche und zahlt ein Umzugsgeld von durchschnittlich 2500 Euro, um dann die Mieter auf den freien Markt zu entlassen. Der gilt zur Zeit als „entspannt", aber selbst ein der Panikmache unverdächtiger SPD-Politiker wie Bernd Schimmler gibt zu, daß es bereits „erste Umkehrtendenzen" gebe.

Spätestens wenn der Markt in den nächsten Jahren wieder anzieht, finden sich die ärmeren Mieter dann doch auf den Fluren des Wohnungsamts wieder ­ oder im Nachbarkiez, wo sie sich in den wenigen verbliebenen Niedrigstandard-Häusern zusammendrängen und von Nachbarn, Politikern und Presse zum „sozialen Problem" erklärt werden, weil sie immer noch nicht reich geworden sind.

Die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus hätte dann außer Einsparungen nichts gebracht. Das korrupte System fällt weg, und an seine Stelle tritt – nichts? Seit die private Wohnungsbauspekulation der Gründerzeit in einer wirtschaftlichen, sozialen und städtebaulichen Katastrophe endete, hat es für ein halbwegs anständiges Wohnungsangebot immer staatlicher Initiativen bedurft. Der soziale Wohnungsbau war dafür ein schlechtes Beispiel. Aber er braucht einen Nachfolger, ein Förderungs- und Gesetzsystem, das sozialen und städtebaulich intelligenten Wohnungsbau unterstützt, den Markt zähmt und die Steuergelder dorthin lenkt, wo sie hingehören: zum Gemeinwohl.

Johannes Touché

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