Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Keine stillen Ecken

Das NKZ auf dem Weg zum Szene-Standort

Wer am 21. Februar nachts die Dresdener Straße Richtung Kottbusser Tor torkelte, konnte auf dem Dach des „Neuen Kreuzberger Zentrums" (NKZ) eine jahrelang stillgelegte Leuchtreklame in vollem Glanz erleuchtet sehen. „Möbel Olfe" war darauf zu lesen, und Pfeile wiesen nach unten, etwa dorthin, wo sich seit Dezember letzten Jahres eine Gaststätte mit eben diesem Namen befindet. Das Anknipsen des alten Schriftzugs war Teil einer als Kunstaktion getarnten Werbeveranstaltung für ein „Kaufhaus Kreuzberg", das diesen Sommer im Flachbau des NKZ eröffnet werden soll. Der Abend stand unter dem Motto: „Ich-Kreuzberg-AG". „Viele kleine Instant-Ich-AGs" sollten „den Kotti in eine blühende Arbeitslandschaft" verwandeln, als Vorgeschmack auf das, was ab Sommer dort geboten werden soll. Das läßt nichts Gutes ahnen.

An diesem Abend war davon allerdings nicht viel zu sehen. Die nicht sehr vielen Gäste sahen die Veranstaltung als das, was sie war: als Kultur-Event nämlich. Die Initiatoren des Kaufhaus Kreuzberg, Wolf Maack und Richard Stein, sind in Kreuzberg bekannt, weil sie im SO 36 jahrelang Veranstaltungen wie das „Kiez-Bingo" oder das „Café Fatal" auf die Beine stellten. Am Kottbusser Tor wollen sie nun ein „Szenekaufhaus" eröffnen und betreiben das Möbel Olfe, „um schon mal den Kotti als angesagten Treffpunkt einzuführen". Erobert jetzt die Kreuzberger Szene das einst so verhaßte Neue Kreuzberger Zentrum? Eine schwarz-rote Fahne hißte man an diesem Abend zwar nicht, aber immerhin leuchtete auf dem Dach über der Adalbertstraße ein großes Anarcho-A aus Neonröhren.

Anfang der Siebziger planten zwei Immobilienkaufleute das NKZ als das „Europacenter Kreuzbergs". Sie kauften 29 Grundstücke auf, schmissen die Menschen mit zum Teil brutalen Methoden aus ihren Wohnungen und rissen die im Weg stehenden Häuser ab. Dem damaligen Geschäftsführer der Neues Kreuzberger Zentrum KG, Günter Schmidt, wurde deshalb von den Ton Steine Scherben im Rauch-Haus-Song ein Denkmal gesetzt: „Schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus." 71,5 Millionen Mark sollte der Bau kosten, die teils privat, teils öffentlich aufgebracht werden sollten. Es wurden 94 Millionen. Man versprach viel damals, was man den Mietern alles bieten wollte.

Als das Haus 1974 fertig war, war die alte Ausfallstraße Richtung Sachsen, die Dresdener Straße, eine Sackgasse. Wegen der zurückgehenden Umsätze waren die dortigen Gewerbetreibenden um den Drogisten und späteren Baustadtrat Werner Orlowsky die ersten, die sich gegen die Kahlschlagsanierung zur Wehr setzten. Daraus entstand die Kreuzberger Mieter- und spätere Instandbesetzerbewegung.

Im NKZ zogen die ersten rasch wieder aus. 1978 wurde Konkurs angemeldet, das Land Berlin bürgte mit 65 Millionen Mark. In die leeren Wohnungen zogen hauptsächlich Menschen, deren Miete das Sozialamt zahlte. Der Komplex entwickelte sich zum Armenhaus, besonders seit sich die Drogenszene nach ihrer Vertreibung aus der Westberliner Innenstadt am Kottbusser Tor etablierte. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Nach einer Bombenexplosion Ostern 1986 forderte der damalige Bausenator Witwer den Abriß des NKZ. Zwölf Jahre später erneuerten Hans Stimmann und Klaus-Rüdiger Landowsky diese Forderung mit der Begründung, es sei ein Kriminalitätszentrum, das man anders nicht mehr in den Griff bekäme. Es hagelte Empörung von allen Seiten.

Stattdessen richtete der Senat ein Quartiersmanagement ein, das Strategien zur Aufwertung des Viertels entwickeln soll. Neuer Geschäftsführer im NKZ wurde Peter Ackermann. Dieser ist dem Haus schon von Anfang an verbunden, trotzdem brachte er neuen Schwung in den Laden. Zunächst wurde der Name in „Zentrum Kreuzberg" geändert, um das schlechte Image abzuschütteln. Dann ging er gegen die „Döner-Monokultur" vor und schmiß einige raus. Er ließ überall Papierkörbe anbringen, das Haus öfter reinigen und ein paar Baumaßnahmen durchführen. Dabei wußte er stets sowohl das Quartiersmanagement, als auch den Mieterbeirat hinter sich. Letzterer wird von den Erstbeziehern dominiert, die immer noch ein knappes Sechstel der rund 300 Wohnungen belegen ­ hauptsächlich ältere Deutsche, die ihre Miete selber bezahlen können. Sie hätten das NKZ gerne etwas multikultureller, was weniger türkisch meint, und setzen sich dafür ein, daß wieder finanzkräftigere Menschen einziehen. Sie wünschen sich auch einen Wachschutz, der die Junkies vertreibt.

Aber dagegen sträubt sich Ackermann. Eleganter ist es, das NKZ so zu beleben, daß es keine stillen Ecken für den nächsten Schuß mehr gibt. Deshalb stößt die Idee eines Szenekaufhauses mit Biergarten und Café auf der Dachterrasse, das Tag und Nacht Menschen anzieht, bei allen, die am Kottbusser Tor eine Lobby haben, auf Begeisterung.

Daß ausgerechnet die alte Kreuzberger Szene für die Belebung zuständig ist, schadet nicht, denn vor der hat heute niemand mehr Angst. Weshalb auch. Im Kaufhaus Kreuzberg geht es nur darum, daß „sich mode- und selbstbewußte Käufer/innen gegen den Strom stylen (...) oder ein Stück unkonventionelles Lebensgefühl in die Einkaufstüte pakken". Man will einen Kult inszenieren. Dafür eignet sich das NKZ vielleicht wirklich, denn „in gleicher Weise wie die Ästhetik der Ost-Platte vor geraumer Zeit von einem Teil der kulturellen Avantgarde entdeckt wurde, liegt das ,West-Beton-Platten-Ensemble' am Kottbusser Tor im Trend der skurrilen und einzigartigen, neu zu belebenden Orte dieser Stadt." Für Herrn Ackermann ist das Konzept die letzte Chance: Im November nächsten Jahres laufen die öffentlichen Aufwandszuwendungen aus. Dann droht wieder der Konkurs.

Dirk Rudolph

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