Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Auf zum Film!

Medientheorie und Bauchschmerzen: Heinz Emigholz kompiliert

Auf der Berlinale ist ein neuer Film von Heinz Emigholz zu sehen, Goff in der Wüste, eine Reise zu den Bauten des amerikanischen Bauhaus-Antipoden Bruce Goff (1904-1982), Teil 8 eines auf insgesamt 25 Teile angelegten Projekts, an dem Emigholz unter dem Titel Photographie und jenseits arbeitet; die englische Übersetzung Photography and beyond entbehrt der metaphysischen Konnotationen, die der deutsche Titel mit sich führt. Parallel zu dieser Unternehmung geradezu enzyklopädischen Ausmaßes ist im Verlag Martin Schmitz die kommentierte Filmographie Normalsatz (s. scheinschlag 11/01) erschienen, auf die nun Das schwarze Schamquadrat gefolgt ist, das auch einen Index aller bisher erschienenen Bücher von Emigholz enthält.

Der Buchtitel schließt die Anspielung auf eine Ikone der modernen Abstraktion, Kasimir Malewitschs schwarzes Quadrat, das einen Nullpunkt vor bzw. jenseits der „Verwicklungen der Wirklichkeit" (Malewitsch) markiert, kurz mit einem Verweis auf eben das Private, Konkrete, welches diese Kunst aus ihrer Sphäre auszusperren sucht ­ eine Verdrängungsleistung der Moderne, wie wir wissen, der die Gegenreaktionen auf dem Fuß gefolgt sind. In der im „schwarzen Schamquadrat" zu einem sprachlichen Bild gebündelten polaren Spannung bewegt sich auch Emigholz' Þlmisches Oeuvre, von den Anfängen in den siebziger Jahren bis heute: Auf eine strukturelle Phase, zu der Schenec-Tady I-III zählen, folgten in den Achtzigern die „experimentellen SpielÞlme", etwa Die Wiese der Sachen, in denen Texten und Schauspielerei wieder Rechte eingeräumt werden. In den Filmen aus Photographie und jenseits, etwa dem Film über Sullivans Banken (2001), kommt es dann wiederum zu einer Konzentration und Reduktion der Mittel ­ kommentarlos, ganz auf den analytischen Kamerablick vertrauend, erkundet Emigholz die in der Provinz des Midwest verstreuten Bauten; der Strassenverkehr rauscht dazu in Dolby Stereo. Diese jüngsten Arbeiten von Heinz Emigholz sind nicht zuletzt ein emphatisches Bekenntnis zu kraftvollen Kinobildern (35 mm), die dem Flimmern und Rauschen von Video, Fernsehen und Netz entgegengestellt werden.

Emigholz schneidet im schwarzen Schamquadrat die unterschiedlichsten Text- und Bildsorten gegeneinander:
Da sind in ihrer Chronologie durcheinandergewirbelte, tagebuchartige Aufzeichnungen, von einer Beschreibung seiner Geburt („Achim, 22. Januar 1948") über Reflexionen depressiver Phasen („Ich werde immer fetter und weiß nicht von was, ich esse fast nichts. Wahrscheinlich eine radikale Umsortierung von Lebensenergie in Fett.") bis hin zu Reise- und Lektüreeindrücken. Diesen Notaten korrespondieren Schnappschnüsse privater Art. Das Buch versammelt aber auch graphische Arbeiten, faksimilierte Notizbücher, Interviews, fiktionale und theoretische Texte. Wir erfahren: „Die Entfernung der Tätowierung DIE PHILOSOPHEN HABEN DIE WELT NUR INTERPRETIERT ES KOMMT ABER DARAUF AN SIE ZU VERÄNDERN von meinem Unterarm kurz vor meiner Flucht in die USA im August 1974 war sehr kostspielig und hinterließ wetterfühlige Narben" oder sehen Emigholz zusammen mit Scharlatan Joseph Vilsmaier auf einer Münchener Premierenfeier. Einen wichtigen Strang bilden Texte, die Emigholz zu einer Filmreihe verfaßte, die von 1993 bis 2000 in 122 Teilen im Kino Arsenal lief und eine fruchtbare Brücke von seinem Lehrstuhl für experimentelle Filmgestaltung in eine interessierte Öffentlichkeit bildete. Er zeigte und kommentierte dort die für ihn wesentlichen Filme von Carl Theodor Dreyer bis Kurt Kren.

Gerade in ihrer fragmentarischen Unabgeschlossenheit, mit der Emigholz seinen enzyklopädischen und theoretischen Anspruch wirkungsvoll bricht, ist dieses Kompendium höchst anregend ­ zum Denken über Film als Kunst, zu Beginn dieses Jahrhunderts mehr denn je marginalisiert.

„Also, auf zum Film", zitiert Emigholz an einer Stelle aus einer vor einem Jahr in Hamburg gehaltenen Rede, „bei dessen Produktion wirkliches Geld eine Rolle spielt. Nur Pech, daß die Sphäre, die sich jedenfalls in diesem Land verwaltungs-, lehr- und förderungstechnisch um Film kümmert, gerade dabei ist, sich jeden Rest von Kunst in ihren Rängen zu verbitten, um die heimisch gewachsene Karikatur des Geschäftslebens zeugenfrei über die Runden zu retten." Auch diesmal werden wir wieder auf der Berlinale Politiker von den Exportchancen des „deutschen Films" schwadronieren hören.

Florian Neuner

> Heinz Emigholz: Das schwarze Schamquadrat. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2002. 18,50 Euro

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