Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

Kollektive Lichtblicke in Zeiten der Multiplexe

Über die Programmkinos fsk und Lichtblick

Der Brunnen im großen Kinosaal des fsk sprudelt munter vor sich hin, immer vor und nach den Vorstellungen. Vielen jagt er zunächst einen Schreck ein, andere grinsen nur oder müssen plötzlich aufs Klo. Solch eine „Sensation" vermutet man nicht, betritt man das erste Mal die Räume des kleinen Kinos am Oranienplatz. Sozusagen eine „Anti- Lasershow". Und auch sonst hat das Kino erfreulicherweise nicht viel mit den großen Kinokonzernen gemein. In Zeiten, wo selbst die einst übermächtigen Multiplexe ums Überleben kämpfen, fragt sich der Cineast öfter, wie es wohl den Programmkinos geht, die ihn in seiner Leidenschaft unterstützen. Besser als den Großen geht es ihnen nicht, denn staatliche Förderungen gibt es kaum. Diese Kinos müssen sich selbst tragen, bleiben so aber in der Programmauswahl unabhängig. Einige ambitionierte Kinos wie das Scala mußten in den letzten Jahren aufgeben. Die Übriggebliebenen konnten anscheinend überleben, weil sie eine einzigartige Programmschiene bedienen oder vielleicht auch nur besser organisiert sind. Die Organisation als Kollektiv scheint sich bewährt zu haben, da sie vieles ausgleichen kann. Manche Macher haben noch andere Brotjobs, andere einen angeschlossenen Filmverleih, der Defizite ausgleichen kann.

So ähnlich funktioniert das Kreuzberger fsk am Oranienplatz. Angefangen hat alles Ende der achtziger Jahre in der Wiener Straße. Da fanden sich einige Filmenthusiasten zusammen, die vorher schon ehrenamtlich in kommunalen Kinos gearbeitet hatten. Ihre Arbeit sollte endlich Früchte tragen, d.h. den Lebensunterhalt ermöglichen. Das fsk-Kino wurde eröffnet, zunächst noch mit Kneipenanschluß, der die zu erwartenden minimalen Kinoeinnahmen auffangen sollte. Am Ende war es genau umgekehrt; das Kino lief gut, die Kneipe nicht. Damals bestand das Programm vornehmlich aus einem Querschnitt durch die Filmgeschichte.

Als der Mietvertrag auslief, zog man an den Oranienplatz und ließ den Kneipenklotz hinter sich. Das Programm wurde zunächst beibehalten, was zunehmend schwieriger wurde. Filmrechte liefen aus, es gab kaum noch Kopien, und das Fernsehen, das ständig alte Filme zeigt, tat ein Übriges. So taten sich die Kinobetreiber auch auf Festivals um und versuchten, neue Filme zu ergattern. Meistens hatten diese jedoch keinen Verleih, so wurden Festivalkopien und die Rechte erworben ­ eine sehr teure Angelegenheit. „Zudem mußten wir noch die Pressearbeit machen und alles andere, was ein Verleih tut. Und dann konnten wir die Filme nur durchschnittlich drei Wochen zeigen. Letzten Endes war das mehr Liebhaberei. Geld verdienen konnte man damit nicht. Das Ergebnis war meistens plus minus Null. Als die Idee aufkam, die Filme auch anderen Kinos anzubieten, war der Weg zur Gründung eines Verleihs nicht mehr so weit. Das war 1997", sagt Christian Suhren, einer der fsk-Enthusiasten.

Heute zeigt das fsk viele Erstaufführungen, drei bis vier jährlich aus dem eigenen peripher-Filmverleih. Das gesamte Kino- und Verleihprogramm wird vom Kollektiv bestimmt. Wer einen interessanten Film gesehen hat, schlägt ihn für das Kino vor, und weil sich alle in Geschmacksfragen einig sind, wird dieser auch gezeigt. Viel Frankophones ist dabei und deutsche Low-Budget-Produktionen, „eher schwierige Filme". Bei der Auswahl für den Verleih gelten meist wirtschaftliche Interessen. Man will mit den Filmen auch Geld verdienen, was mittlerweile dank bundesweiter Zusammenarbeit mit anderen Programmkinos auch ohne staatliche Förderung klappt.

Ein ganz anderes Profil zeigt das Kino Lichtblick in der Kastanienallee, gegründet 1995 am alten Standort in der Wolliner Straße, ebenfalls von einem Kollektiv, jedoch mit einem völlig anderen Hintergrund: „Die meisten kamen damals aus Köpenick, wo wir schon ein Hausprojekt hatten. Wir wollten als Kollektiv weiter zusammenarbeiten und entschlossen uns, nach Prenzlauer Berg oder Mitte zu ziehen, um das umsetzen zu können. Ganz am Anfang hätte es auch noch etwas anderes als ein Kino sein können, aber das war die bevorzugte Variante", erzählt Thorsten Frehse. Architektonische Sensationen wollte man nicht bieten. Das Programm sprach für sich. Am Anfang standen Filmreihen zu den 68ern, der Roten Armee Fraktion, auch Filme, die damals quasi verboten waren. Es wurden Unterstützungserklärungen für Irmgard Möller verlesen, als diese noch im Gefängnis saß. Das war in den häuserkampfbewegten Neunzigern. Dann lief auch hier der Mietvertrag aus. Der neue Standort in der Kastanienallee wurde ihnen in letzter Sekunde angeboten. Das war vor nunmehr fünf Jahren, als die Leute der K77 von sich aus dem Kollektiv anboten, das Kino in ihrem Haus weiterzubetreiben. Vorher hatten bereits zwei der Mitarbeiter den Filmverleih „Neue Visionen" gegründet, um das Kollektiv zu erhalten. Die anderen Mitarbeiter des Kollektivs konnten sich mit dieser Idee aber nicht anfreunden, schließlich war das Kino am neuen Standort erst mal gesichert. So arbeiten Thorsten Frehse und Wulf Sörgel weiterhin im Kino-Kollektiv und führen völlig unabhängig davon noch den Verleih.

Welche Filme im Lichtblick gezeigt werden, wird nach wie vor im Konsensverfahren entschieden. Jedoch wird der stark politisierende Anteil des Lichtblick-Programms, der allgemeinen Entwicklung gemäß, weniger. „Wir geben unser Bestes, daß er nicht ganz verschwindet, so wie zum Beispiel mit der Autofocus-Reihe, die einen besonderen Blick auf Berlin zeigt, den wir teilen. Propagandareihen gibt es keine mehr. Was die Auswahl der porträtierten Regisseure angeht, haben wir schon ein gewisses ProÞl", so Frehse. Das wird auch vom Publikum honoriert. Trotzdem macht sich auch im Lichtblick das zögerliche Konsumverhalten bemerkbar. Was für einen Betrieb, der sich ausschließlich über den Erlös für die Eintrittskarten finanziert, fatal werden kann.

So brachte der letzte Sommer sämtlichen Berliner Programmkinos Einbußen, allerdings nicht so hohe, wie vielleicht den großen Häusern. Frehse sieht einen Grund in der zunehmenden Eventkultur. „So etwas wie Karneval der Kulturen zieht viele an. Außerdem hat vor vier Jahren nicht ein einziges Freilichtkino Filmkunst gezeigt. Jetzt sind es drei, die sich darauf spezialisiert haben." Im Lichtblick versucht man, mit Diskussionen oder Einladungen von Regisseuren gegenzusteuern, was das Publikum auch annimmt. Jedoch sind auch im Kollektiv die harten Zeiten zu spüren, da der Mitarbeiterlohn verständlicherweise nicht üppig ist. Jobs, die eventuelle Fehlbeträge ausgleichen konnten, sind weggebrochen. „Da wird sich auch zeigen, ob unsre Art von Gruppenkonstellation weiterhin tragfähig ist. In welche Richtung es dann geht, ist völlig unklar."

So unterschiedlich beide Häuser sind, haben sie doch die Leidenschaft für ihr Metier gemeinsam. Vielleicht ist die Kollektivstruktur nicht der ausschlaggebende Punkt, sondern nur eine Möglichkeit von vielen. Aber sie funktioniert, da den Mitstreitern eine Grundhaltung gemeinsam ist, die nicht Profit heißt. Und dabei soll es auch bleiben.

Ingrid Beerbaum

© scheinschlag 2003
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 01 - 2003