Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Mit dem Pinsel an den Wunden

Matthias Koeppel – ein Maler als Stadtkritiker

1987 feierten Diepgen-Senat wie Hauptstadt-Magistrat das Stadtjubiläum „750 Jahre Berlin". Fast jedes Konzert und Kiezfest, jährlich wiederkehrende Festivals wie das des politischen Liedes, aber auch propagandistische Großtaten wie der Prolog zur Tour de France oder die Wiedereröffnung des Schauspielhauses wurden in den festlichen Zyklus werbeträchtig eingereiht. Natürlich gab es auch genügend Kritiker, denen das Aneinander-Vorbei-Feiern beider Stadthälften nicht behagte, und Historiker, die die Gründungsurkunde und damit das ganze Datum in Frage stellten. Angesichts der fehlenden Urkunden für die Gründungen von Cölln und Berlin um das Jahr 1230 steht einzig fest, daß die Nazis eben 1937 den 700. Geburtstag der Reichshauptstadt zelebrierten.

Diese turbulente Auseinandersetzung war damals für den Berliner Maler Matthias Koeppel Inspiration für sein sarkastisches Kudamm-Triptychon „Die Jahrhundertfeiern", auf dem er auf der linken Seite die Nazi-Inszenierung von Herren- und Untermenschen als brutale Arroganz der Geistlosen am alten Café Kranzler in Szene setzt. Der Hauptflügel stellt das Mauerberlin mit seiner schrillen Mischung von Passanten, Demonstranten, Punks und einem Urbayern rund um den U-Bahnhof Kurfürstendamm dar. Die rechte Seite mit einer apokalyptischen Vision des 800. Jubiläumsjahres 2037 schockiert mit der Ruine eines atomar verseuchten Kudamm-Ecks, vor dem sich Gerippe und eine dekadente Feiergesellschaft samt einigen Kaninchen tummeln.

Noch bis zum 16. Februar ist das Triptychon zusammen mit rund 50 Gemälden, einigen Skizzen und Fotos in einer Ausstellung im Haus am Waldsee zu sehen: Berlin ist immer im Werden ­ Malerei wird Zeitgeschichte. Matthias Koeppel, seit 1981 Professor für Freies Zeichnen und Malen am Architekturfachbereich der TU und selbst im Nazi-Feierjahr 1937, allerdings in Hamburg, geboren, setzt sich seit seinem Malereistudium an der HfbK mit der Berliner Stadtentwicklung auseinander. Statt dicke Pamphlete zu schreiben, arrangiert er pointiert und in realistischer Malweise auf seinen Ölbildern Bauwerke und Bewohner. Koeppel ist der Berliner Maler der Stadtentwicklung. „Berliner" dabei deÞniert in der ortsüblichen Art: Berliner ist jeder, der Dreck, Hektik und Lärm länger als fünf Jahre aushält, ohne die Flucht ohne Wiederkehr zu ergreifen.

Als Beitrag zur aktuellen Schloßdebatte fungiert Koeppels Gemälde von 2001 „... und wer wird nun König", das auch das Plakatmotiv der Ausstellung ist. Traum der einen, Alptraum vieler anderer: Die oberen Zehntausend tummeln sich zur Einweihung um das wiedererrichtete Hohenzollernschloß. Diepgen und Landowsky sind noch unverdrossen dabei, aber auch Gysi. Und natürlich Sparkanzler Schröder auf der Schloßbrücke in Begleitung des saturiert grinsenden Modezars Mooshammer mit seinem frisierten Hundepüppchen auf dem Arm. Raumgreifend ein asiatisch anmutender Engel im Vordergrund, der die Königskrone zu vergeben hat. Doch wer hat sie verdient in Zeiten historizistischen Kulissenbaus?

Der Besucher wird mit den Bildern immer wieder zum Räsonieren über brisante Fragen der Stadtentwicklung gebracht. Koeppel hat seinen Pinsel auch mit 65 an den Wunden und Kernfragen der Entwicklung Berlins. Schön, daß er auf seine unverwechselbare Art der Verarbeitung beiträgt zur Selbstverständigung einer sich wandelnden Metropole.

Franz-Josef Paulus

> Die Ausstellung ist bis zum 16. Februar im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30 (U-Bhf. Krumme Lanke), zu sehen; geöffnet täglich außer Mo von 12 bis 20 Uhr. Eintritt 3, erm. 2 Euro; Katalog 24 Euro.

Jeden Freitag um 18 Uhr führt der Maler durch seine Ausstellung. Am 9. Februar, 17 Uhr: „Abschied der Moderne" ­ Diavortrag mit Gespräch zwischen Matthias Koeppel und Barbara Straka über den Zyklus der Jahre 1999-2001

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