Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Skandal und Behübschung

Ein Wegweiser durch den Berliner Skulpturendschungel

Die sogenannte Kunst-am-Bau-Verordnung datiert ins Jahr 1934. Die Nazis schrieben damals fest, 1 bis 1,5 Prozent der Baukosten öffentlicher Gebäude seien in Kunst zu investieren; Deutschlands Künstler profitieren noch heute davon, die Berliner Bundesbauten verschafften den Großkünstlern der Republik so manchen Auftrag. Die Stadt war freilich immer schon ein Eldorado für großkotzige Skulpturenprojekte: 1987 leistete sich Westberlin einen „Skulpturenboulevard", während im Ostteil der schlechte Kunstgeschmack der DDR-Führung so manches Grusel-Monument zeitigte. Der Nicolai Verlag hat nun einen fundierten Wegweiser durch den Berliner Skulpturendschungel der letzten 20 Jahre vorgelegt. 66 ausgewählte Kunstwerke im öffentlichen Raum werden in Bild und konzisen Kurzessays, für die Studenten der Kunstgeschichte an der FU verantwortlich zeichnen, vorgestellt. Die Texte sind nicht nur informativ, sondern auch erfreulich kritisch, wenn sie etwa die fragwürdige künstlerische Qualität von Eisenmans Holocaust-Mahnmal benennen.

Wolf Vostells Beton-Cadillacs am Rathenauplatz und Olaf Metzels „13.4.1981" am Kurfüstendamm waren in den achtziger Jahren noch Skandale; in den Neunzigern wurde dann von Bund, DaimlerChrysler und Konsorten eigentlich nur noch Gefälliges gesponsert: dekorati-ver Unfug von Jeff Koons oder Jona-than Borofsky oder Gerhard Richters „Schwarz Rot Gold", dieser fragwürdige Eiertanz zwischen Affirmation und abgehangener Konzeptkunst. Die interessantesten Skulpturen sind freilich meist die, die sich dem Betrachter nicht unbedingt aufdrängen: Norbert Radermachers 1985 – zunächst ohne Genehmigung – an der Potsdamer Brücke angebrachter Bronzering, Karla Sachses den früheren Grenzverlauf markierende „Kaninchenzeichen" oder Christian Boltanskis „Missing House" in der Großen Hamburger Straße. Darauf hinzuweisen ist nicht das geringste Verdienst des Buches, das auch temporäre Aktionen wie eine „Neuinszenierung des Bahnhofs Gleisdreieck" von 1980 nicht vergißt und Berlins teilweise skandalösen Umgang mit seiner Kunst – jüngstes Beispiel: die drohende Tiefgarage am Bebelplatz – nicht verschweigt.

Florian Neuner

> Hans Dickel und Uwe Fleckner (Hg.): Kunst in der Stadt. Skulpturen in Berlin 1980 – 2000. Nicolai Verlag, Berlin 2002. 19,90 Euro

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