Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Wenn ich schon gefickt werde

soylent green im Prater

soylent green ist Menschenfleisch, sagt es allen weiter! ist der Titel des neuesten Stückes von René Pollesch in der Wohnbühne des Praters – des letzten, bevor Bert Neumann dort eine neue und hoffentlich ebenso wirkungsvolle Spielstätte gestalten wird. Wie schon die älteren, immer noch auf dem Spielplan stehenden Pollesch-Stücke ist soylent green eine fragende, fast tastende Annäherung an theoretische, etwas akademisch anmutende Texte (in diesem Fall von Stephan Geene: money aided ich-design – technologie, subjektivität, geld, erschienen 1998 bei b_books). Es sind die prekären Lebensumstände der postmodernen Dienstleister in der Großstadt, die bei Pollesch – mittels Dialoge simulierender, austauschbarer Figuren – eine überspitzte Darstellung erfahren. Nicht empirisch nachvollziehbare Analysen sind das Ziel, sondern „geile Denkmodelle". Versatzstücke postmoderner Theorien, Dialogfragmente aus Hollywood-Filmen, wüste Beschimpfungen und gemeinsames Abkotzen über die neuen Verhältnisse ergeben in permanent wechselnden Konstellationen zwar kein zusammenhängendes, auf Anhieb verständliches Bild. Aber schon nach wenigen Minuten eröffnet sich ein kaleidoskopischer Kosmos, der überraschend vertraut scheint.

Man kann nicht einfach wieder zurück in die gemütliche Zeit der Moderne, und auch Pollesch geht es nicht um bloße Kritik. Seine Forderung scheint zunächst, die neuen Sozialformen, Wertekataloge und Begriffsapparate wenigstens konsequent und konsistent zu machen. Dennoch bleibt bei den Protagonisten der Pollesch-Stücke immer ein Rest, der nicht aufgehen will. Es sind Beschwerden, die über die viel zitierte Orientierungslosigkeit hinausgehen: die Erinnerung an altehrwürdige Menschlichkeit, das Aufrufen archaischer Kategorien wie Liebe, Echtheit und Persönlichkeit, das Schreien nach etwas Verständlichem, Erlebbarem, Stabilem. Wenn ich schon gefickt werde, brauche ich auch Griffe zum Festhalten, wird schon in Stadt als Beute gefordert.

Das Denkmodell, das in soylent green durchdekliniert wird, gründet auf der Verknüpfung von Subjektivität und Geld. Diese Assoziation liegt näher, als es den Anschein haben mag, wird in dieser Gesellschaft doch behauptet, man habe unendliche Möglichkeiten, etwas anderes zu sein, sich stets neu zu erfinden und sich immer neuen Umgebungen anzupassen. Wem seine Erscheinung nicht mehr zusagt, greift auf Schönheitsoperationen, gefälschte Biographien oder virtuelle Identitäten im Internet zurück. Geld, das scheiße aussieht, kann schließlich auch auf der Bank umgetauscht werden und behält seinen Wert.

In dem Science-Fiction-Film Soylent Green von Richard Fleischer (1973) sind Menschenkörper wertvoll und rar wie Geld, weil sie auf der ökologisch vollends verwüsteten Erde das einzig Eßbare sind. Diejenigen Menschen, die ihr Leben nicht mehr ertragen und sich im luxuriösen Sanatorium einschläfern lassen, werden als Nahrung wieder in Umlauf gebracht und ermöglichen derart anderen das Überleben. Daß die aus ihnen gewonnene Substanz ausgerechnet in der Farbe des Dollars auf den Markt kommt, muß kein Zufall sein.

Doch ist es weniger der Film Soylent Green, von dem sich Pollesch inspirieren läßt, als vielmehr der in den Neunzigern entstandene amerikanische Spielfilm Boogie Nights von Paul Anderson. Dieser Film ist gleichzeitig Hommage und Abgesang auf die Pornoindustrie der Siebziger, in der „Du geiles Stück Menschenfleisch!" noch als Kompliment galt. In der Pornographie, die nach dem Prinzip der reinen Oberflächenprojektion funktioniert, zeigt sich die Grenze des Vergleichs von Subjekt und Geld. Zwar besteht auch der Mensch aus eigentlich wertlosem Material. Dieses ist aber weder umtauschbar wie Geld, noch unvergänglich wie Gold. Sein Wert ist zwar ebenfalls imaginär, aber auf dem Menschenkörper findet sich keine Stelle, von der sein objektiver Wert ablesbar wäre. Das Subjekt läßt sich folglich nicht mit einem allgemeinen Äquivalent gleichsetzen, es bleibt immer ein irreduzibler Rest.

Der Traum des Pornoproduzenten aus Boogie Nights, Filme zu erschaffen, die die Zuschauer auch nach dem Abspritzen im Kino halten, scheitert am neuen Billig-Medium Video. Dort strebt man keine unvergänglichen Kunstwerke mehr an, sondern verschleißt nur noch schneller Menschenfleisch. Pollesch fragt, was die Zuschauer außer einem voyeuristischen Konsum von Kunst noch im Theater hält, wenn nicht Porno. Das Publikum wird eingeladen, sich mit postmodernen Theorien auseinanderzusetzen, während es gleichzeitig den Eindruck vermittelt bekommt, einer Pornoproduktion beizuwohnen. Der Einsatz von Kameras, mittels derer die in verhüllten Wohnzimmern stattfindenden Szenen auf Leinwände übertragen werden, ist in diesem Stück endlich mal mehr als nur ein billiger Effekt, der Modernität simulieren soll. Diese Inszenierungsform ist nicht die einzige Neuerung für diejenigen, die das Pollesch-Universum aus seiner Prater-Trilogie kennen. Dialogpassagen und Improvisationen wechseln sich nicht mehr ab, sondern laufen größtenteils parallel, es wird auch nicht mehr viel geschrien, sondern mehr geflüstert, leider fast vollständig mit einem Soundtrack unterlegt. Und wenn dann doch noch mal laut SCHEISSE gebrüllt wird, wirkt es wie ein augenzwinkerndes Selbstzitat.

Katrin Scharnweber

> „soylent green ist Menschenfleisch, sagt es allen weiter!" am 11., 12., 15. und 17. Februar und am 1. und 2. März, jeweils um 20 Uhr im Prater, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg. „Sex", „Stadt als Beute" und „Insourcing des Zuhause. Menschen in Scheißhotels" laufen dort ebenfalls noch im Februar und März.

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