Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

Zuckerwattenamen und Pferdefüße

Vermarktung der Arbeit (I): Geld für Arbeit und Zeitarbeit

Nachdem die Hartz-Kommission ihre Empfehlungen unter dem Titel „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" der Bundesregierung unterbreitet hat, wird jetzt an deren Realisierung gearbeitet. In einer sechsteiligen Artikelserie werden im scheinschlag die einzelnen Vorschläge, ihre Umsetzung und die Konsequenzen vorgestellt.

Geld für Arbeit

Schon seit dem 1. November 2002 in Kraft ist das Förderprogramm „Kapital für Arbeit". Das von der Bundesregierung und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vereinbarte Programm greift die von der Hartz-Kommission vorgeschlagene Idee des „Job-Floaters" auf ­ im Prinzip eine Neuauflage altbewährter Förderprogramme: Kleine und mittelständische Unternehmen, die bereit sind, Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit Bedrohte oder geringfügig Beschäftigte dauerhaft in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis einzustellen und die dafür einen Finanzierungsbedarf haben, können Kredit erhalten. Einzige Voraussetzungen: Kreditwürdigkeit und positive Zukunftsaussichten des Unternehmens.

Das Darlehen besteht aus zwei Tranchen: einem KfW-Förderkredit von bis zu 50000 Euro, für den bis zu zwei tilgungsfreie Anlaufjahre vereinbart werden können, und einem weiteren Darlehen der KfW von bis zu 50000 Euro, für welches die Hausbank vollständig abgesichert wird.

Nach dem Willen der Initiatoren verknüpft dieses Programm eine aktive Mittelstandspolitik mit gezielter Beschäftigungspolitik für Arbeitslose. Angesichts anhaltender Wirtschaftsflaute und mittlerweile übertriebener Vorsicht der Banken bei der Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen scheint diese Maßnahme zunächst sehr sinnvoll: Die Eigenkapitalbasis und damit auch der Spielraum für weitere Fremdfinanzierungen wird dadurch erweitert.

Allerdings wird das Konzept konterkariert durch die Anknüpfung an eine positive Bonitätsprüfung, denn gutgehende Unternehmen sind auf die staatliche Finanzhilfe nicht unbedingt angewiesen und werden sich schwer tun, gerade aus diesem Grund Arbeitslose einzustellen. Die am schlimmsten von Pleitewellen und Arbeitslosigkeit betroffenen Regionen bleiben außen vor; unsere schönen Steuern fließen also mal wieder dahin, wo schon Geld ist.

Zeitarbeit statt arbeitslos

Schritt zwei der Reform ist das Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das am 15. November 2002 in Form von zwei Gesetzestexten den Bundestag passiert hat. Das erste Paket enthält die Neuregelungen zur Leiharbeit und Weiterbildung sowie die neuen Maßstäbe für die Zumutbarkeit bei Jobangeboten. Dieser Teil bedarf nicht der Zustimmung des unionsdominierten Bundesrates. Die Regelungen treten im wesentlichen am 1. Januar 2003 in Kraft. Kernpunkt der Neuregelung ist zunächst die Reform der Zeitarbeitsbranche. Das Gesetz schreibt vor, sogenannte Personal-Service-Agenturen (PSA) in jedem Arbeitsamtsbezirk zu errichten, was voraussichtlich bis Juli 2003 dauern wird. Auch wenn der Zuckerwattename erst mal nichts Gutes verheißt, ist die Idee der Erschließung der Zeitarbeitsbranche für die Vermittlung von Arbeitslosen doch beachtenswert.

PSA arbeiten nach dem Willen des Gesetzgebers wie private Zeitarbeitsfirmen: Sie verleihen Arbeitnehmer, allerdings mit dem Ziel der dauerhaften Übernahme durch den Arbeitgeber; verleihfreie Zeiten sollen für Weiterbildung genutzt werden. Im Regelfall werden private Zeitarbeitsfirmen die Funktion einer PSA übernehmen und vom Arbeitsamt (pauschal) honoriert; nur wenn sich kein privater Interessent findet, kann das Arbeitsamt als Betreiber einspringen.

Flankierend werden nach einer einjährigen Übergangszeit die Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerüberlassung grundlegend verändert, um so auch die Voraussetzungen für das Funktionieren der PSA zu schaffen. Entsprechend den Empfehlungen der Hartz-Kommission werden die bisherigen strengen Verbote im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ­ die weitgehend dem Schutz der Zeitarbeiter vor den hohen Flexibilitätsanforderungen des Arbeitsmarktes bei geringer Entlohnung dienten ­ aufgehoben. Einem Leiharbeiter soll es nunmehr erlaubt sein, länger als 24 Monate bei einer Zeitarbeitsfirma zu arbeiten (Befristungsverbot); er darf in den ersten drei Monaten nach seiner Kündigung bei der Leiharbeitsfirma erneut eingestellt werden (Wiedereinstellungsverbot); und er muß bei der Zeitarbeitsfirma nicht mehr länger als beim entleihenden Unternehmen eingestellt sein (Synchronisationsverbot).

Grundsätzlich kann jeder Arbeitslose bei der PSA angestellt werden; dies erfolgt auf Vorschlag des Arbeitsamtes (künftig: JobCenter). Für eine Ablehnung gelten die neuen verschärften Zumutbarkeitsregeln, d.h. bei einer Verweigerung kann das Arbeitslosengeld gekürzt oder gesperrt werden. Und da haben wir ihn auch schon ­ den Pferdefuß. Denn diese Regelung kann dazu führen, daß die zu Vermittelnden gezwungen werden, in kurzen Abständen immer weniger qualifizierte Arbeit anzunehmen, was bedeutet, daß die gefürchtete Abwärtsspirale früh einsetzt und sich schneller dreht ­ keine gute Nachricht für arbeitslose Akademiker, in deren Bereich traditionell wenig auf Entleihbasis gearbeitet wird. Die Zahl literaturkundiger Tellerwäscher wird so jedenfalls zunehmen.

Die Beschäftigten bei der PSA genießen Sozialversicherungsschutz. Sie erhalten während einer mehrwöchigen Probezeit (bis zu sechs Wochen) den Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes und werden im Anschluß daran wie festangestellte Arbeitnehmer des entleihenden Unternehmens oder nach einem speziell ausgehandelten Tarif bezahlt. Im Unterschied zum Hartz-Konzept beharrten SPD und Grüne in der Frage der Entlohnung für Leiharbeiter auf der Einführung des Grundsatzes des „equal pay", wogegen die Arbeitgeberseite ­ der bei arbeitslos offenbar nur „A" wie arm, Alkoholiker, Asozialer einfällt ­ an „flexiblen" sprich ungünstigeren Entlohnungsregelungen festhalten wollte. Zur Strafe müssen sich die Verleihfirmen nun mit den Gewerkschaften herumschlagen, die versprochen haben, Verträge mit Einstiegstarifen abzuschließen.

Die nunmehrige Regelung ist ein zäh erkämpfter, aber leider fauler Kompromiß, wodurch der Grundsatz gleicher Arbeitsbedingungen nicht nur für sogenannte schwer Vermittelbare, sondern für alle Leiharbeitnehmer unterlaufen werden kann. Bedenklich ist auch, daß die Gewerkschaften nicht wirklich eine ernst zu nehmende Interessenvertretung darstellen, da sie nicht in der Lage sein werden, überhaupt Druck auf die Verleihfirmen auszuüben – im Zweifel werden die Gewerkschaftsmitglieder nämlich nicht für ehemals arbeitslose Zeitarbeiter auf die Straße gehen, sondern sich wie alle anderen werktätigen Menschen einen Dreck darum scheren. Das nicht vorhandene öffentliche Engagement ließ sich jedenfalls sehr schön im Vorfeld der Gesetzesentstehung beobachten.

Berit von Kurnatowski

© scheinschlag 2003
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 01 - 2003