Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Autobahnen, Hochhäuser, Riesenräder

Städtebau-Klimbim am Gleisdreieck

Bevor Norbert Rheinlaender von der Aktionsgemeinschaft (AG) Gleisdreieck „die ganze Geschichte" erzählt, vergewissert er sich mehrmals, ob man auch genug Zeit mitgebracht hat. Die Bürgerinitiative geht bis in die siebziger Jahre zurück; Demonstrationsaufrufe, Pläne, Gutachten und Zeitungsausschnitte aus vier Jahrzehnten stapeln sich auf den Tischen und schmücken die Wände. Und immer noch ist Rheinlaender nicht am Ziel. Der uralte Streit um die verlassenen Gleisfelder südlich des Potsdamer Platzes geht derzeit in eine weitere Runde, und niemand weiß, ob es die letzte ist.

Ausgangspunkt des Konflikts war die Westtangente, die vom Autobahnkreuz Schöneberg bis in den Wedding führen sollte und das malerisch zugewucherte, ökologisch und stadtklimatisch höchst bedeutsame Bahngelände verwüstet hätte, das vom Schöneberger Südgelände über das Gleisdreieck bis zum Landwehrkanal reicht. Erst 1989 wurden die Pläne zugunsten einer „Grüntangente" vom Buga-Gelände in Marienfelde bis zum Tiergarten aufgegeben.

Mit dem Beginn der Berliner Metropolenträume war der mühsam erkämpfte Konsens wieder passé. Zuerst beanspruchte die Bahn Verkehrsflächen für ihre neuen Nord-Süd-Strecken, dann forderte debis einen Autobahnanschluß für den Potsdamer Platz. Auch diesmal konnte mit Lobbyarbeit, Rechtsgutachten, Klagen und aufwendigen Alternativkonzepten das Schlimmste verhindert werden. Der Straßentunnel unter dem Tiergarten endet nun am Landwehrkanal, und der Senat hat eine S-Bahn-Linie in Aussicht genommen, die eines Tages über den U-Bahnhof Gleisdreieck zum Lehrter Bahnhof führen soll. Außerdem wurden den Anwohnern 16 Hektar öffentlicher Park und großzügige Sportanlagen versprochen – wenn auch auf Kosten der nahegelegenen Laubenkolonien. Der Flächennutzungsplan von 1998 sieht sogar 36 Hektar Grünfläche vor.

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Die größte Gefahr für den Park geht nun nicht mehr von den Verkehrsplanern, sondern von der Vivico aus, der Immobiliengesellschaft der Bahn, der das Gelände nach wie vor gehört. Sie ist den Planungsbehörden in einem entscheidenden Punkt überlegen: beim Geld. Ohne eigene Mittel sind die Behörden zu Tauschgeschäften gezwungen, die mit dem öffentlichen Interesse nur gelegentlich etwas zu tun haben. Ähnlich wie am Mauerpark und am Nord- und Ostbahnhof gibt die Vivico einen Teil ihres Geländes für Grünflächen her, den Rest darf sie als Baufeld vermarkten. Wer welches Stück vom Kuchen erhält, und was er wann damit anstellt, ist nicht etwa Sache der Stadt, sondern der Vivico.

Formalrechtlich ist der künftige Park nämlich „Bahngelände", das gegen den Willen des „Nutzers" nicht entwidmet werden kann. Ein Rechtsgutachten der AG Gleisdreieck hat dieser Position mittlerweile widersprochen, aber die Behörden scheinen kein Interesse zu haben, ihre Planungshoheit durchzusetzen. „Es ist unvernünftig, daß die Verwaltung sich Gedanken macht, was sie an welcher Stelle will", meint dazu Michael Künzel von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der sich offenbar damit abgefunden hat, „daß irgendwelche Investoren kommen und eine Idee haben".

An Investoren ist am Gleisdreick kein Mangel; durch die Nähe zum Potsdamer Platz herrscht Aufwertungsdruck. So wurde das projektierte Parkgelände an allen Ecken von neuen Bürovierteln angeknabbert und in jedem neuen Plan tauchten mehr Hochhäuser auf. Nicht mehr elf, sondern 21 Hektar Bauland und acht Bürotürme sah schließlich das Konzept vor, das die Vivico im April 2002 vorlegte. Im Sommer kam noch ein 120 Meter hoher „Bahntower" am Landwehrkanal dazu, die Post kündigte einen 80-Meter-Wolkenkratzer an der Trebbiner Straße an. Und auch der Projektentwickler Dirk Nishen erwägt, mit seiner Idee eines Riesenriesenrads ­ mit 150 Meter Höhe zum Entzücken der Hauptstadtpresse größer als das „Eye of London" ­ am Gleisdreieck sein Glück zu versuchen. Nishen war seinerzeit für das Konzept der Infobox verantwortlich und erfreut sich guter Kontakte zu DaimlerChrysler, die ihm noch nützlich sein dürften, wenn sich die diversen Investoren am Gleisdreieck in die Haare kriegen.

Denn der Rahmenvertrag zwischen Planungsämtern und Vivico, der in wenigen Monaten unterschriftsreif sein wird, ist nicht das letzte Wort. Hier wird nur die Bebauungsdichte entschieden; konkret wird es erst bei den einzelnen Baufeldern. Und da hat außer der Vivico auch das angrenzende Technikmuse-um mit seinen Erweiterungswünschen, Post, Bahn, debis sowie bestimmt noch der eine oder andere Spekulant die Finger im Spiel. Stadtentwicklung ist ein Monopolyspiel – trotz Planverfahren mit Bürgerbeteiligung und hohen formalrechtlichen Hürden, trotz Gutachten über Frischluftschneisen und Grünflächenbedarf, trotz eines offiziellen „Stadtentwicklungsplans Büroflächen", der ein gigantisches Überangebot an genau den Büros nachweist, die am Gleisdreieck in rauhen Mengen zu entstehen drohen.

Nur die AG Gleisdreieck bemüht sich unverdrossen um eine Stadtplanung, der es noch um so etwas wie Gemeinwohl geht. Angesichts der Baumassen, die auf den Plänen verzeichnet sind, und der Summen, die darin investiert werden, erscheint das wie eine Donquichotterie. Aber Rheinlaender hat nicht resigniert: „Wir kämpfen schon so lange, daß es auf ein paar Monate nicht ankommt. Wir haben einen langen Atem."

Johannes Touché

> Informationen unter: www.gleisdreieck.de

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