Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Der alltägliche Wahnsinn ­
Rot-Rot feiert Jubiläum

Pünktlich zum einjährigen Jubiläum des SPD-PDS-Senats trat Berlin aus der Tarifgemeinschaft der öffentlichen Arbeitgeber aus und versucht seinen Bediensteten ein Sonderopfer abzupressen. Das hätte sich kein CDU-Senat getraut. Für Klaus Wowereit hingegen hat der Berliner Schritt Symbolcharakter für die ganze Republik. Das sieht auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung so und feierte den „Tabubruch" auf Seite eins überschwenglich. Von der Hysterie der Springer-Presse, die aufgrund der Regierungsbeteiligung der PDS noch vor einem Jahr Gift und Galle spuckte, ist wenig geblieben. Kein Wunder. Schließlich läßt sich die PDS-Politik handzahmer kaum noch betreiben. Seien es Lohnraub im Osten, Fondsrenditen für die Reichen, Schließung von Schwimmbädern oder Senkung der Sozialhilfe. Eines ist sicher: Die PDS ist dabei und verrenkt sich dabei aufs Abenteuerlichste. Für eine Partei, die sich die letzten zehn Jahre als soziales Gewissen zu profilieren versuchte, ist das tödlich. Nicht zufällig verlor die PDS im Ostteil der Stadt bei der Bundestagswahl im Vergleich zur letzten Abgeordnetenhauswahl über 22 Prozent der Stimmen.

Worin beim Senatsprogramm der „Haushaltskonsolidierung um jeden Preis" das linke Projekt besteht, vermag zwar die Parteiführung der eigenen Basis auch nicht zu erklären; einen Kurswechsel vollzieht sie dennoch nicht. Selbst dann nicht, wenn es Handlungsspielraum für alternative Politik gäbe. So geschehen im Fall Bankgesellschaft. Selbst die CDU unter Frank Steffel stellte die kritischeren Fragen und Forderungen. Ähnlich war es beim Versuch von Bausenator Peter Strieder, ohne rechtliche Notwendigkeit die Förderung im Wohnungsbau fortzusetzen und private Eigentümer mit mehreren Milliarden Euro zu subventionieren. Erst als sich der linke SPD-Abgeordnete Lorenz mit Finanzsenator Sarrazin für den Totalausstieg verbündete und Strieder den Machtkampf verlor, positionierte sich die PDS. Natürlich auf Seiten der Sieger.

Die Transformation der PDS von der Staatspartei Ost zur Staatspartei West ist vollzogen, die linkssozialistische Programmatik der Zwischenperiode nur noch historische Folklore. Die Parteibasis murrt und fügt sich ansonsten treuergeben in ihr Schicksal. Selbst in der politisch entkernten Berliner SPD organisiert die marginalisierte Parteilinke des Donnerstagskreises stärkeren Widerstand gegen den finanzpolitischen Amoklauf des Senats. Denn obwohl sich die anvisierte Haushaltskonsolidierung aus eigener Kraft spätestens mit der Pleite der Bankgesellschaft als Lebenslüge der Berliner Politik entpuppte, brauchten SPD und PDS ein weiteres Jahr, um endlich in Karlsruhe zu klagen. Ein Schritt, der seit Mitte der neunziger Jahre überfällig war. Stattdessen wurde das Tafelsilber verkauft, die Investitionen gekürzt und im Sozialbereich gespart. Infolge dieser Kamikazepolitik hat die Hauptstadt seit Jahren das schwächste Wachstum, beständig steigende Arbeitslosenzahlen und eine blühende Korruption. Durchaus positiv hebt sich da der Vorschlag der CDU ab, der besonderen Situation der Hauptstadt durch eine im Grundgesetz verankerte Sonderfinanzierung Berlins Rechnung zu tragen. Anstatt diese legitime Forderung offensiv zu vertreten, versucht Wowereit lieber aus der bundeseinheitlichen Beamtenbesoldung auszusteigen.

Vermutlich wird die Koalition sogar die nächsten Jahre halten. Nichts müßte die PDS so fürchten wie Neuwahlen. Spannender ist da schon die Frage, ob es jenseits der parlamentarischen Politik zu einer Revitalisierung außerparlamentarischer Bewegung kommt. Die „Initiative Bankenskandal" hat immerhin Mut gemacht.

Birger Scholz

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