Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Mit einem Schlag allgegenwärtig

Über den Start in Berlin als Repräsentantin Österreichs

Fast schon 2003 in Berlin und in der Stadt an der Donau. Da war es am 24. November wieder einmal soweit. Herr und Frau Österreicher wählten den Nationalrat. Kaum zwei Wochen sind vergangen, und die konservative ÖVP ist mittlerweile schon wieder fest am Flirten mit allen erdenklichen Parteien, ganz so, als sei politisch nichts unmöglich. Alles ist möglich, wir haben gelernt, daß es so ist. Zu welchem Szenario sich die Politiker in Wien auch verbiegen mögen, EU-Sanktionen wird es diesmal kaum geben.

Vor drei Jahren sah das alles ganz anders aus; Erinnerungen an meine ersten Wochen in Berlin: Da war ich gerade dabei, Umzugskartons zu entpacken, um die persönliche Ordnung der Dinge in Berlin herzustellen. Und in der Heimat kein Stein mehr auf dem anderen ... Haiders „F" an der Macht? Kann nicht sein, durchfuhr es mich.

Mit einem Schlag war Österreich allgegenwärtig. Dieses kleine geographische Schnitzel auf der Landkarte Europas mit Kaffeeschmäh und historischen Scheuklappen in alpiner Hüttenidylle hatte sich plötzlich auf die Titelseiten aller Blätter katapultiert. Aus sämtlichen Kanälen tönte, flimmerte und rauschte mir der politische Rechtsruck ins Bewußtsein. Und mit einem Male ­ mehr als unerwartet ­ fand ich mich in der Rolle einer Repräsentantin wieder. Wo ich ging und stand, doch besonders, wo mein Wiener Akzent ans deutsche Ohr drang, spürte ich politische Verantwortung. Ich war die Österreicherin. In nahezu allen Gesprächen, Situationen und Gelegenheiten war ich es, wurde befragt und bezog Stellung. Auch mir war es ein Anliegen, mich auszutauschen über den politischen Supergau.

Doch mit der Zeit, im Laufe der Wochen merkte ich, daß ich immer mehr zu einem Medium wurde. Ich fühlte mich in die verdammte Pflicht genommen, zu jeder Zeit und an jedem Ort das eine und einzige Thema zu besetzen. Lernte ich ein neues Gesicht kennen, war zumeist die erste und wenn nicht die allererste, so doch sicherlich die zweite Frage, die nach meiner eigenen politischen Ausrichtung. Dies führte letztlich dazu, daß ich die Fragen nur noch mit der Gegenfrage beantwortete, und zwar, ob mein Gegenüber in mir allen Ernstes eine FPÖ-Wählerin wähne. Nein, das nicht, kam es dann immer zurück. Trotzdem kam diese Frage wieder und immer wieder.

Das verrückte an der Situation war, daß jeder schon etwas über mich zu wissen schien, während ich nichts über die anderen wußte. In meinem sozialen Leben begann ich, mich wie eine öffentliche Person zu fühlen, passierte es doch zuweilen, daß ich im Supermarkt oder im Kaffeehaus von irgendwelchen Leuten angesprochen wurde, wie es doch sonst nur bei Prominenten der Fall ist. Das Thema Haider war Pop. Und ich war ein Teil davon. Es war aktuell und populär, massenmedial gestreut in nahezu jedes Bewußtsein. Selbst der hohlste Flegel war im Bild und in der Lage, eine politische Diskussion vom Zaun zu brechen. Es war so einfach.

Nie wieder in Berlin ist mit mir so heftig und gerne debattiert und politisiert worden, wie in den drei Monaten nach der Regierungsbildung mit der FPÖ in Österreich. Denn nach und nach schrumpften Empörung und Entsetzen über den österreichischen Skandal und synchron zur Massenberichterstattung dann langsam auch das Interesse. Einerseits stimmte mich die langsam einkehrende Gleichgültigkeit nachdenklich. Waren all die Stimmen gegen Rechts so plötzlich verklungen, weil Sendeanstalten und Tagesblätter es nicht mehr vorbeteten? Welches Thema beschäftigte all die couragierten und antifaschistischen Mitbürger jetzt? All die toleranten und informierten Menschen einer neuen Generation, die mir drei Monate lang selten die Chance gegeben hatten, mich gegen das Vorurteil des „rechten Österreichers" zu behaupten? Wen grenzt man jetzt wohl aus, fragte ich mich damals, und war doch froh, daß es vorbei war, denn angenehm waren diese ersten Wochen beileibe nicht.

Seit damals weiß ich, wie es sich anfühlt, irgendwo nicht willkommen zu sein, und daß meine unbeschwerte und behütete Generation, die nur zu gerne „Teil einer Jugendbewegung" gewesen wäre, gar nicht verächtlich in die Vergangenheit blicken muß, um auf Vorurteile und Diskriminierung zu stoßen. Ob in Wien, Timbuktu oder Berlin, es gilt für uns alle.

Langsam aber sicher begann dann für mich – nach den ersten Wochen als quasi öffentliche Person – das „normale" Leben in dieser Stadt. Obwohl ich für viele Berliner gar nicht als „vollwertige" Ausländerin durchgehe, weil ich ja „nur" aus Österreich komme, bin ich es trotzdem. Ich bin es gerne, und ich bin es gerne hier, weil ich diese Stadt lieben gelernt habe. Mein Zuhause.

Agathe Gorocz

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