Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Sicher ist, daß nichts sicher ist

Langwierige Entscheidungsfindung bei der Umsetzung des Hartz-Papiers

Wir erinnern uns: Nachdem Anfang des Jahres 2002 ein Skandal – in Form vermehrt kritischer Presseberichterstattung – die Grundfesten der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) erschütterte, weil gravierende Mängel in der „Arbeitslosenverwaltung" aufgetreten waren, verabschiedete die Bundesregierung einen Zweistufenplan zur Rettung des Standorts Deutschland. Stufe eins war die Wiederbelebungsphase in Form eines Stühlerückens bei der BfA, Chef der Behörde ist seitdem Florian Gerster. Stufe zwei beinhaltete die Idee einer Reformierung des Arbeitsmarktes mit dem Ziel, die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen und die BfA in einen effizienten Dienstleister umzuwandeln.

Da man den eigenen Ministerialbeamten offenbar keine reformerischen Ideen zutraute, wurde eine Expertenkommission unter Leitung von Dr. Peter Hartz berufen. Hartz hatte als Personal-Manager bei VW mit der Einführung der Vier-Tage-Woche Schlagzeilen gemacht und sollte nun im Zusammenspiel mit Vertretern von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden ein neues Konzept zur Umstrukturierung des Arbeitsmarktes erarbeiten. Herausgekommen ist ein Bericht mit dem dynamisch klingenden Titel „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", der eine Sammlung von Empfehlungen enthält, die von der Bundesregierung übernommen wurden und nun zum Teil durch untergesetzliche Maßnahmen sowie mehrere aufeinander bezogene Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden sollen.

Angetreten war Hartz zum Kampf gegen die Arbeitslosenstatistik, die im Jahr 2001 eine Zahl von rund 3,8 Millionen auswies und die mit geballtem Reformwillen auf etwa die Hälfte abgesenkt werden sollte. Mittlerweile sind diese hochfliegenden Pläne von den Gesetzesschaffenden zurechtgestutzt und die Arbeitsmarktrevolutionäre auf den Boden der harten Sozialstaatsrealität zurückgeholt worden. Noch im Wahlkampf war davon die Rede, daß das Hartz-Konzept eins zu eins umgesetzt werden würde. Da aber unser Gesetzesorgan nun einmal nicht aus einer zusammengewürfelten Truppe von leistungsorientierten Wirtschaftsmanagern, sondern dem Bundestag mit 598 Abgeordneten besteht, sind Abstriche bei der Umsetzung der Kommissionsempfehlungen unvermeidlich.

Der Bundesrat hat mittlerweile durch sein Veto dafür gesorgt, daß die Gesetzesentwürfe vor dem Vermittlungsausschuß verhandelt werden. Das erste Paket enthält die Neuregelungen zur Leiharbeit und Weiterbildung sowie die neuen Maßstäbe für die Zumutbarkeit bei Jobangeboten. Dieser Teil bedarf zwar nicht der Zustimmung des unionsdominierten Bundesrates; der kann jedoch ­ wie geschehen ­ Einspruch einlegen, welchen der Bundestag wiederum mit der Mehrheit der Stimmen zurückweisen kann. Mit anderen Worten: Das letzte Wort hat hier der Bundestag. Das zweite Paket mit den Neuregelungen zu Mini-Jobs, Ich-AG und Brückengeld für ältere Arbeitnehmer ist dagegen zustimmungspflichtig (steht jedenfalls im Grundgesetz: wenn die Finanzierung eines Gesetzesvorhaben das Steueraufkommen der Länder beeinflußt). Hier hängt alles davon ab, ob und wie ein Kompromiß vom Vermittlungsausschuß, der jeweils zur Hälfte aus Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat besteht, ausgehandelt wird.

Jedenfalls ist absehbar, daß die Neuregelungen des zweiten Teils nicht, wie geplant, zum 1. Januar 2003 in Kraft treten werden ­ nach Schätzungen sollen sich die Verhandlungen im Ausschuß bis Februar 2003 hinziehen ­ und schon gar nicht in der gewollten Fassung. Sogar der nicht zustimmungspflichtige Teil soll im Ausschuß behandelt werden. Dabei ist unklar, ob die vom unionslastigen Bundesrat geplanten Verschärfungen im Vermittlungsausschuß, der mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts eine knappe rote Mehrheit besitzt, in die Gesetzesentwürfe eingearbeitet werden. Es ist also sicher, daß gar nichts sicher ist.

Ob wegen dieser demokratischen „Verwässerung" (O-Ton Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Gabriel) das von Hartz anvisierte Ziel nicht erreicht werden kann, wie Kritiker der Gesetzesreform Schröder vorwerfen, ist fraglich, denn keiner weiß, was bei einer hundertprozentigen Umsetzung herausgekommen wäre. Andererseits hätte man vielleicht mehr erreichen können, wenn man vor dem wilden Losreformieren kurz innegehalten hätte, um sich über einige grundsätzliche Fragen klar zu werden, z.B. was für einen Sinn Arbeiten im modernen Zeitalter überhaupt hat, wenn es denn kein Selbstzweck ist. Wirklich revolutionär wäre es gewesen, die gerechte Verteilung der Mangelware „bezahlte Arbeit" festzuschreiben, alles andere ist gutgemeintes Geplänkel.

Berit von Kurnatowski

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