Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Der gentechnologisch-industrielle Komplex in Berlin-Brandenburg

Über eine Neuerscheinung zum Widerstand gegen Gentechnologie

Die Region Berlin-Brandenburg hat sich in den letzten Jahren zu einem der Zentren der Bio- und Gentechnologie entwickelt. In der Fachpresse wurde das mit euphorischen Artikeln gefeiert – galt eine solche Entwicklung in einer Gegend mit starkem Widerstand doch als schwer vorstellbar.

Das traf bis Anfang der neunziger Jahre für Westberlin zweifellos zu. Seitdem schien das Thema selbst in der Berliner Linken kaum noch eine Rolle zu spielen. Diese Entwicklung ist bemerkenswert, da der umstrittene Industriezweig in den letzten Jahren einen Boom erlebt hat, wie ihn selbst die vehementesten Kritiker nicht für möglich gehalten haben. Mittlerweile sind Anlagen und Forschungseinrichtungen der Gentechnologie in ganz Berlin zu finden.

Diese Tatsache wieder in den Blickpunkt gerückt zu haben, ist das Verdienst der Autoren eines kürzlich erschienenen Buches, das das Wissen über den Stellenwert der Gentechnologie auf den aktuellen Stand bringt und gleichzeitig zu Kritik und Widerspruch anregen will. Ein zentrales Kapitel führt den Leser durch die Berliner Genwelten. Modellprojekte sind das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch und das Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie. Der mit dem Scheringkonzern verbandelte Biomedizinische Forschungscampus Berlin-Buch GmbH (BBB) sorgt dafür, daß die Forschungsergebnisse gleich in der freien Wirtschaft profitabel verwertet werden können. Berlins Senator für Stadtentwicklung und Umwelt Peter Strieder nannte das BBB eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen Molekularmedizin und Biotechnologie in Deutschland. Erklärtes Ziel des Aktionszentrum BioTops Berlin-Brandenburg, dessen Namen nicht zufällig an Begrifflichkeiten aus der Umweltbewegung erinnert, ist die Entwicklung der Region zu einem „Kompetenzzentrum für die Biotechnologie" durch die finanzielle Förderung von Start-up-Unternehmen in der Branche. Vom Labor an die Börse, lautet das Schlagwort.

Schon längst hat sich hier ein gentechnisch-industrieller Komplex herausgebildet, in den Universitäten, Banken, Konzerne wie Schering aber auch Politiker und Wissenschatler involviert sind. Doch das Buch ist mehr als nur ein Wegweiser durch den Berliner Gentech-Dschungel. Den Autoren ist klar, daß es nicht einfach möglich ist, an den Gen-Tech-Kritiken von vor zehn Jahren bruchlos anzuknüpfen. „Mit dem Boom der Neuen Medien bildete sich auch in Szenen und Subkulturen neue Verhältnisse zu Natur, Technik und Körper heraus. Im Zuge dessen konnte sich genetisches Wissen mehr und mehr als Alltagswissen in der Gesellschaft einschreiben und den vorherrschenden Begriff von Gesundheit umwerten". Das heißt für die Autoren nun keineswegs, die Entwicklung fatalistisch hinzunehmen: In dem umfangreichen Serviceteil kann sich der Interessierte Adressen und Informationen über Initiativen und Schriften gegen Gentechnologie und Biotechnologie holen.

Peter Nowak

> Fabian Kröger, Christoph Schulz, Alexander v. Schwerin, Uta Wagenmann (Hg.), „Angewandte Genetik.
Gene zwischen Mythos und Kommerz", Berlin 2002, b_books, 9 Euro

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