Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Lofts statt immerfeuchte Keller

Zittern um die Reste der Friedrichshainer Clubszene

Friedrichshain, der totaaal abgefahrene Partybezirk. Die Simon-Dach-Straßen-Kneipenmafia verdient sich dusselig an schwäbischen Jura-Erstsemestlern. Doch die wirklich „abgefahrenen Locations" – wegen der sie eigentlich hier sind – bleiben von den hemdsärmeligen Sauftouris meist verschont. Eine Reihe früherer Off-Clubs wie Box und Lovelite haben dem Druck der Straße nachgegeben, schneiden sich jetzt auch große Stücke aus dem Partytouristen-Kuchen und haben jedes Wochenende viele Leute mit eckigen Brillen zu Gast.

Das kann man von anderen Veranstaltungsorten, die die Underground-Fahne noch hochhalten, nicht behaupten. Dafür haben sie andere Probleme, denn im Schatten der Subkultur zieht bisweilen auch die Polizei andere Saiten auf. So geschehen bei den „Klang- und Raumpiraten", einem trashigen Vereinsheim im Hinterhof einer Mietskaserne in der Warschauer Straße. Im immerfeuchten Kellergeschoß des jungen Kollektivs fanden schon Goa-Parties, Punk-Konzerte und Lesungen statt. Doch wo ein Hinterhof ist, gibt es auch Anwohner, die leicht um den wohlverdienten Schlaf gebracht werden. Und so flatterte den Piraten eine Anzeige wegen Lärmbelästigung ins ungeheizte Haus. Da allerdings sowieso ein Bauvorhaben auf dem weitläufigen Hinterhofgelände projektiert ist ­ was, weiß der Bauherr noch nicht genau ­ könnte die nächtliche Ruhestörung schon bald verschwinden und dem tagtäglichen Gelärme einer weiteren Baustelle weichen.

Konkretere Planungen gibt es für das jetzige Gebäude des K17 in der Kadiner Straße. Die Immobilienfirma Grimm & Partner will hier Sanierungsgebietszuschüsse abgreifen, was nur mit Wohnraum möglich ist. Also entstehen hochwertige Eigentumslofts mit eingebauter Steuerbefreiung. Für die seit zehn Jahren bestehende Metalkneipe Jailbreak nebst der vor vier Jahren dazugekommenen Allround-Konzert- und Partylocation K17 wird dann kein Platz mehr sein, und also wurden die mit den Vorbesitzern (WBF und Bundesvermögensamt) geschlossenen Mietverträge gekündigt. Ein Ersatzdomizil ist in Aussicht, allerdings ist sich Matthias vom K17 der Sache nicht so sicher: „Da auch das neue Quartier im Sanierungsgebiet liegt, brauchen wir eine Genehmigung von der Sanierungsbehörde und müssen einen Bauantrag stellen." Auf die Genehmigung wartet Matthias schon seit Wochen – nicht die erste frustierende Erfahrung, die er mit Behörden gesammelt hat. So war das K17 ursprünglich als Verein eingetragen, weil die Gewerbeerlaubnis auf sich warten ließ. Doch die Gemeinnützigkeit war für die Ämter nicht ersichtlich, und daher wurde eine Ordnungsstrafe auferlegt. Danach kam die Gewerbeerlaubnis erstaunlich schnell. Matthias: „Was denen nicht klar ist: daß es um Zeit geht. Spätestens nächsten April müssen wir hier raus, dann brauchen wir einen Ersatz." In Friedrichshain will er auf jeden Fall bleiben und hier weiterhin Konzerte bekannter (Daily Terror, Napalm Death, Anne Clark) und weniger bekannter Bands (etwa die portugiesische Punkband Mata Rados) zu moderaten Preisen ermöglichen. Die regelmäßigen 100-Cent-Parties sieht er als Beitrag zu einer bezahlbaren Partykultur in Berlin, und ebenso regelmäßig will er weiterhin der Gothic-Szene bei entsprechenden Events einen Anlaufpunkt bieten – wenn die unselige Allianz aus Investoren und Behörden ihn läßt.

Von solchen Problemen kann auch das „Schnarup Thumby" im Squat in der Scharnweberstraße 38 ein Lied singen. Seitdem das Gebäude in Privatbesitz ist, zittern die Bewohner um ihre Räume. Erste Soliparties fanden schon statt, der Ausgang ist ungewiß.

Ein gutes Beispiel dafür, daß die Bausubstanz auch ohne Vertreibung der Bewohner und Nutzer erhalten werden kann, findet sich gleich um die Ecke: In der Kinzigstraße liegt das einst besetzte Haus Drago Fumante, dessen ehemaliges Café Größenwahn vielleicht noch dem einen oder anderen Friedrichshainer Kiezgänger ein Begriff ist. Nach jahrelanger Selbsthilfe-Sanierung ist das Gebäude jetzt gut im Schuß ­ gerade noch rechtzeitig vor der Einstellung der Förderprogramme durch den Senat. Ausschank und Veranstaltungen im Drago Fumante sollen spätestens im Frühjahr wieder anlaufen.

Noch gibt es viele subkulturelle Aktivitäten und Orte im Bezirk. Die Politik jedoch unterstützt eindeutig die Vertreibung solcher Projekte durch Investoren, denen es naturgemäß um Profitmaximierung geht. Die Kultur wird, wenn sie nicht sofort verschwindet, in staatlich geförderte Jugend- und Kulturzentren abgeschoben. Es ist aber die unabhängige und selbstbestimmte Kultur, die „den Hain" so anziehend macht. Leerstehende Eigentumslofts gibt es schließlich überall.

Michael Welskopf

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