Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Ohne Herz und Verstand

Der „Stadtumbau Ost" erreicht Friedrichshain

„Stadtumbau Ost": Das ist ein millionenschweres Abrißprogramm der Bundesregierung, mit dem die letzten Reste unsanierter baulicher Zeitzeugen der DDR-Vergangenheit dem Erdboden gleichgemacht werden sollen. Anstatt über alternative Nutzungsmöglichkeiten zu günstigen Konditionen nachzudenken, läßt man lieber die Abrißbirne kreisen. Denn solange es billige Ausweichmöglichkeiten für Wohnen, Kultur und Gewerbe gibt, ist die Hochpreispolitik gefährdet. Ohne rot zu werden, verkünden Stadtplaner und Behörden die „Aufwertung" als Problemlösung. Der einstige Kampfbegriff gegen Immobilienspekulation ist hoffnungslos pervertiert. Man kann es offenbar kaum erwarten, daß Arme es sich nicht mehr leisten können, in den Innenstadtbezirken zu wohnen.

In Friedrichshain betrifft der Stadtumbau Ost hauptsächlich die Areale entlang der S-Bahn und der Spree. Ohne Herz und Verstand sind auf bunten Leitplänen stupide Blocks, Haken und Winkel eingezeichnet. Die letzten Nischen, die nach gutbürgerlichen Vorstellungen noch nicht „familiengerecht" sind, sollen verschwinden. Dabei lieben es Kinder, auf verwilderten Grundstücken herumzulungern und sich ihre Spielplätze selber zu suchen ­ und die Erwachsenen sowieso!

Den Ergebnissen des Stadtumbau Ost ging ein Vergabeverfahren voraus, bei dem die 100 Bewerber nicht etwa gelungene städtebauliche Ideen vorweisen mußten, sondern lediglich ein gut funktionierendes Büro mit soliden Projekten. Heraus kamen keine variantenreichen, fantasievollen Lösungen, die im qualitativen Wettbewerb miteinander standen, sondern ausgesprochene Solonummern.

Für Friedrichshain-Süd erhielt der Architekt Heinrich Fockenberg den Zuschlag. Neben den obligatorischen Lükkenschlüssen sehen die Planungen zwei Schwerpunkte vor: Die Zille-Schule zwischen Boxhagener und Wühlischstraße wird abgerissen und zur Grünfläche umgewidmet, die Grundschüler in die monumentenhafte Schulburg der Max-Kreuziger-Schule geschickt. An ihr hängt das Herz des Planers. Jedoch ist man sich auch in der Schulverwaltung nicht sicher, ob die ehemalige Oberstufenschule in ihrer Gestalt und mangels Freiflächen tatsächlich grundschultauglich ist. Eigentlich bietet die Zille-Schule als niedliches Beispiel des DDR-Schulbaus ein passenderes Angebot für Schulanfänger. Aber irgendetwas mußte auch in Friedrichshain zum Abreißen gefunden werden ­ schließlich ist der Stadtumbau Ost ein Subventionsprogramm für Abrisse.

Die weitere Neuigkeit besteht darin, daß nach Fockenbergs Vorstellungen die Grundstücke beidseits der Revaler Straße, von Ostkreuz bis Modersohnbrücke, nahezu komplett abgeräumt werden. Für ihn handelt es sich hier um einen „Angstraum", einen Ort „illegaler Tätigkeiten". Daß sich inmitten der „Brachflächen" unter anderem der Club Lovelite sowie ein Haus mit Proberäumen für rund ein Dutzend Bands befinden, ist ihm nicht bekannt. Die afrikanischen und russischen Autoschrauber hingegen scheint er zu kennen. Obwohl sie einem durchaus legalen Gewerbe nachgehen, lösen sie im bürgerlichen Bewußtsein sofort die Alarmglocke aus und gelten als irgendwie illegal. Ihre abenteuerlichen Sammelplätze, von denen Unfallwagen nach Afrika verschifft werden – eine der klügsten Formen des Recyclings – finden im neuen Gewerbezentrum zwischen Revaler Straße und S-Bahngleisen sicherlich keinen Platz. So wird der Stadtumbau auch zum „Ausländer raus"-Programm.

Fockenbergs Idee ist eine durchgehende Grünfläche entlang der Revaler Straße, als Fortführung des Lenbachplatzes mit einer Wohnbebauung entlang der Simplonstraße. Diese soll das gesamte Umfeld erklärtermaßen „aufwerten" und einen exklusiven Touch bekommen. „Wohnen an südseitiger Grünanlage, unverbaubarer Blick" ­ da hört man schon die Kasse klingeln. Praktischerweise ist die Finanzierung des Grünzugs bereits geregelt. Wegen der zu hoch geplanten baulichen Dichte
des RAW-Geländes werden Grünflächen als Ausgleich gefordert. Die zukünftige Mietskaserne RAW schluckt ihr Umfeld ­ auch der benachbarte Bauwagenplatz ist als „Retentionsfläche" anrechenbar und soll wieder Sportplatz werden.

Würde man nicht derart kompromißlos Gleichmacherei betreiben, gäbe es hier Raum für die Weiterentwicklung einer interessanten Mischung. So sind Freiflächen bereits vorhanden; sie werden jedoch durch lästige Bauzäune der Öffentlichkeit vorenthalten, etwa für experimentelle Nutzungen. Würde das Wohnen nahe der S-Bahnstrecke wirklich so erstrebenswert sein, gäbe es selbst für ergänzende Wohnbebauung Platz. Etwas mehr Gelassenheit wäre angebracht ­ und eine bessere Ortskenntnis, die den beteiligten Planern offenbar fehlte.

Carsten Joost

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