Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Berlin, sehr subjektiv

Ein britische Türkin? Ja, gibt's denn sowas?

Ich lebte mit Sohn und Mann in einem wohlsituierten Vorort in Surrey, südlich von London, hatte eine eigene Wohnung und eine gute Stelle. Ich stand sozusagen mit beiden Beinen im Leben – bis zu dem Tag, an dem ich Berlin besuchte. Das ist jetzt zwei Jahre her. Ein Freund war zur Berlinale eingeladen, und ich begleitete ihn. Die meiste Zeit verbrachten wir am Potsdamer Platz, feierten Parties mit dem Festival-Volk und schauten uns Filme an. Obwohl das großen Spaß machte, konnte ich mich für die trendigen, minimalistischen Bars und die kalte Atmosphäre der Gegend nicht sonderlich erwärmen. Ein Besuch am Alexanderplatz bestätigte dieses Gefühl: Monotone, graue Gebäude ließen den Februar noch kälter erscheinen, als er ohnehin war. Berlin wurde seinem arty farty Ruf einfach nicht gerecht.

Bald jedoch traf ich den entspanntesten Menschen der Welt im Café Cinema und verliebte mich auf der Stelle. Zurück in England erwartete mich dann ein Gewitter: Meinem Mann gefielen die Neuigkeiten nicht, und binnen kurzem war ich alleinerziehende Mutter, mit einem ausgesprochen aufreibenden Beruf noch dazu. Ich begann, an den Wochenenden nach Berlin zu fliegen. Die tief verschneite Stadt erschien mir jetzt paradiesisch: Prenzlauer Berg, Hackescher Markt, Straßenbahnen, Schnee, gemütliche Cafés und weltoffene Eingeborene machten die Stadt nun doch stimmungsvoll und freundlich.

Als ich in London meinen Job verlor, entschloß ich mich, nach Berlin zu ziehen. Doch wieder nahm mein Leben eine unerwartete Wendung. Ich stellte fest, daß die Beziehung zu meinem neuen Freund nur als Fernbeziehung funktionierte. Beziehungen scheinen in Berlin nie lange zu halten, so viele alleinerziehende Eltern habe ich hier bereits kennengelernt. In Surrey ist das genaue Gegenteil der Fall. Die Freunde meines Sohnes, allesamt Kinder der soliden Mittelklasse, waren überrascht, daß er keine Geschwister hat und seine Eltern getrennt leben. Hier in Berlin ist sowas ganz normal.

Nur komisch, daß sich viele der sogenannten Weltoffenen in Berlin wundern, daß ich Türkin bin. Obwohl ich ganz und gar türkisch aussehe, meint man offensichtlich, eine gebildete, weltoffene Frau könne nicht aus der Türkei kommen ­ als ob alle Türken sich nur mit ihresgleichen abgeben. Aber ich will mich nicht beklagen: Mein Sohn und ich passen recht gut zu den Leuten im Prenzlauer Berg. Niemand stört sich hier daran, daß seine Eltern unterschiedlicher Herkunft sind und dazu noch getrennt leben. Schließlich gibt es in seiner Klasse auch ein Kind, das zwei Mütter hat. Zwar wäre es schön, im Prenzlauer Berg auch mal ältere Menschen oder mehr Kinder zu sehen. Aber ich mag die kosmopolitische Mischung, die den Bezirk ausmacht; seine Studenten, die grünen Yuppies, die Arbeitslosen, Radikalen, Künstler und was hier noch so lebt. Um sich hier integrieren zu können, genügt offenbar „kulturelles Kapital".

Um das tägliche Leben zu organisieren, gilt es, viele Anträge auszufüllen. Schule, Hort, Wohnung, für alles gibt es gesonderte Formulare. Und die Deutschen nehmen ihre Formulare sehr ernst. Regeln scheinen außerordentlich wichtig zu sein; manchmal bekommt man den Eindruck, sie seien überhaupt das Wichtigste. Als mein Sohn einmal wegen einer Krankheit nicht mit mir nach London kommen konnte, war es am Lufthansa-Schalter in Tegel unmöglich, das „nicht umbuchbare" Flugticket umzutauschen. Zwei Stunden später versuchte ich es in London erneut: Die Leute des dortigen Lufthansa-Schalters waren verständnisvoll und buchten das Ticket bereitwillig um. Auch das Schalterpersonal auf den deutschen Ämtern muß man als eher unfreundlich bezeichnen. Ich lernte die Deutschen als recht ausgeglichene Menschen kennen, aber bis jetzt konnte mir niemand erklären, warum die Angestellten auf den Ämtern sich so daneben benehmen. Wie soll man mit Menschen umgehen, die einem nichts als Angst einjagen? Andererseits durfte ich feststellen, daß der Hort in Berlin monatlich 50 Euro kostet. Wenn ich daran zurückdenke, daß ich in London monatlich 900 Euro zahlen mußte ...

Während ich hier mein aus den Fugen geratenes Leben führte, lernte ich meinen derzeitigen Freund kennen. Wir gingen zusammen in Cafés und fuhren oft am Wochenende ins Grüne. Ich bemühte mich, nicht sonderlich überrascht zu wirken, wenn die Ossis, am See angekommen, als erstes ihre Klamotten fallen ließen, und fixierte beim Gespräch, so gut es ging, ihre Gesichter. Wahrscheinlich merkten alle, daß ich mich dabei unwohl fühlte. Ich denke, daran ist meine türkische Herkunft schuld, und daß ich mit diesen ungewohnten Umgangsformen leben lernen muß. Egal, das krieg ich schon hin. Es hat im bürgerlichen Surrey geklappt, warum nicht im liberalen Prenzlauer Berg?

Güliz Ritchie

Aus dem Englischen von Knut Hildebrandt

> Die Autorin ist Türkin mit britischer Staatsbürgerschaft. Sie lebte acht Jahre in London und ist seit drei Monaten in Berlin.

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