Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Keine Lobby für schöne Ideen

Schulungszentrum der Pharmaindustrie

statt Botschaft der Indigenen

Stille liegt über dem Kesselberg bei Neu Zittau. Nichts erinnert mehr an das Stimmengewirr der vergangenen Monate, als sich auf dem 7 km vom S-Bahnhof Erkner entfernten 45 Hektar großen Areal bis zu 1000 Menschen zu Festivals und Workshops getroffen hatten. Immer waren auch Indigenas dabei, Ureinwohner aus Lateinamerika. Denn die Aktivisten des Ökologischen Kultur-Zentrum Kesselberg hatten in der Einöde am Rande Berlins eine „Indigene Botschaft" errichtet.

Die Örtlichkeiten schienen dafür gut geeignet. Schließlich wurde die ehemalige Stasi-Funkzentrale in den neunziger Jahren auf ABM-Basis zu einem ökologischen Modellprojekt ausgebaut. Doch die ABM-Gelder waren ausgelaufen, und die Projektpartner hatten sich zerstritten. Das führte 1997 zum Ende des allseits gelobten Projekts. Damals wurden einige in der Lateinamerika-Solidarität aktive Menschen aus Berlin auf das Gelände aufmerksam. „Vor allem der zapatistische Aufstand im Süden Mexikos hat uns motiviert, die Kämpfe im Süden auch in unsere Welt zu tragen. Während in Berlin die Botschaften jener Länder ihr Domizil haben, die ihre Ureinwohner noch immer unterdrücken oder totschweigen, sollen diese Menschen hier eine Stimme bekommen", erklärt Kesselberg-Aktivist Christian Schmalbach das Konzept des europaweit einmaligen Vorhabens.

Vertreter der Ureinwohner aus Mexiko, Panama, Venezuela, Brasilien und Kolumbien diskutierten auf dem Kesselberg ihre Probleme, die Ursachen und Lösungsansätze. Die Probleme liegen nicht zuletzt in einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung. So berichtete Querubin Queta von den kolumbianischen Cofan-Indigenas, wie die Paramilitärs seinen Neffen und dessen schwangere Frau ermordeten. Er stellte den Zusammenhang zum Plan Columbia her, der dafür sorgt, daß im Anti-Drogenkampf die Kartoffelernte und das Trinkwasser der indigenen Gemeinden vergiftet werden. Das stieß auch außerhalb des Kesselbergs auf Interesse. Mehrmals erhielten die indigenen Gäste Einladungen ins Schöneberger Rathaus und manchmal schafften sie es sogar auf die Lokalseiten der Berliner Presse.

Doch jetzt droht dem Projekt das Aus. Die Bank für Gemeinwirtschaft, die das Grundstück verwaltet, hat den Kesselberg-Verein zur sofortigen Räumung aufgefordert. Denn mittlerweile haben zahlungskräftige Käufer Interesse an dem Grundstück bekundet. Die Errichtung eines Schulungszentrums für Mitarbeiter eines Pharmaunternehmens ist im Gespräch. Eine erste Versteigerung am 14. Oktober in Frankfurt/Oder scheiterte jedoch, weil sich keine Kaufinteressenten meldeten.

Aber das ist nur eine kurze Verschnaufpause für die Kesselberg-Aktivisten. Denn die potentiellen Käufer wollen das Grundstück bei weiteren Versteigerungen wesentlich günstiger erwerben. Da hat die indigene Botschaft natürlich keine Chancen.

Peter Nowak

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