Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Kaderschule für die Wirtschaftselite

Die Privatwirtschaft will ihre eigene Lehrstätte ­

und holt sie sich vom Senat

Am 31. Oktober hatte auch die leidgeprüfte Politprominenz mal wieder was zu feiern. Gemeinsam mit den Besten der deutschen Wirtschaft beging sie die Gründung der European School of Management und Technology (ESMT) im Staatsratsgebäude, dem nach den Regierungschefs aus DDR und BRD nun eine dritte Generation machtbewußter Nutzer bevorsteht. Wie die Hauptstadtgazetten raunen, wird hier eine Bildungsanstalt von internationalem Rang entstehen: eine Sonderschule für Wirtschaftsspezialisten mit Berufserfahrung, Studiengebühren von 50000 Euro jährlich und einem einzigen Abschluß: dem Master of Business Administration. Eine Hochschule der S-Klasse. Die staatlichen Unis sind der deutschen Wirtschaft anscheinend nicht mehr gut, vor allem aber: nicht mehr fein genug.

Außer großspurigen Ankündigungen ist den Initiatoren allerdings noch nicht viel eingefallen. Obwohl bereits 2004 der Lehrbetrieb aufgenommen werden soll, ist bislang weder ein Lehrplan, noch eine Satzung oder gar eine Planung für spätere Ausbauphasen bekanntgeworden. Vor allem aber fehlt ein realistisches Finanzierungskonzept: Für den laufenden Betrieb sind 15 bis 20 Millionen jährlich veranschlagt – vielzu wenig im Vergleich zum Jahresetat einer normalen Hochschule. Die Stiftungsinitiative, die mit Daimler, Schering und Allianz die Reichsten der deutschen Wirtschaft zu ihren Trägern zählt, hat bisher rund 90 Millionen Euro aufgebracht, die Hertie-Stiftung schießt weitere 25 Millionen zu. Daß man mit den Zinsen dieses bescheidenen Stiftungskapitals eine Uni finanzieren kann, gilt als höchst zweifelhaft. Schon die 25 Millionen für die Sanierung des Staatsratsgebäudes möchte die Stiftung nicht tragen und fordert öffentliche Gelder. Zur „Vorfinanzierung" will sie sich das Geld bei den Banken borgen.

Dafür braucht sie allerdings eine Sicherheit. Statt also wie vereinbart das Staatsratsgebäude vom Land mietfrei zur Verfügung gestellt zu bekommen, möchte die ESMT nun lieber einen Erbbaurechtsvertrag. Mit einem solchen Vertrag in der Tasche kann der Nutzer nämlich eine Liegenschaft beleihen, ohne sie kaufen zu müssen. Das Land bliebe Besitzer und müßte, wenn der Nutzer ins Schlingern gerät, dessen Schulden bezahlen. Mit diesem bösen Trick wurde der Senat schon oft übertölpelt, so daß sein Vermögensausschuß diese Praxis unlängst verwarf. SPD-Chef Peter Strieder, der sich als Senator für Stadtentwicklung offenbar auch für die Weiterbildung internationaler Manager zuständig fühlt, signalisierte dennoch „Spielraum" bei den Verhandlungen mit der ESMT. Kultur- und Wissenschaftssenator Thomas Flierl und seine Mannen halten dagegen: Wenn die SPD bei ihrer großzügigen Haltung bleibe, drohte der wissenschaftspolitische Sprecher der PDS, Benjamin-Immanuel Hoff, „dann haben wir ein echtes Problem". Hoff hat nämlich Prinzipien: „Eine private Hochschule muß privat finanziert werden."

In einem Artikel im Forum Wissenschaft gab er an, von wem diese Formulierung stammt: Auch der Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, Klaus von Trotha, hatte seinerzeit für die nordbadische International University und das Stuttgart Institute of Management and Technology eine staatliche Unterstützung kategorisch ausgeschlossen. Wenig später rückte er doch noch 25 Millionen Mark raus. In Bremen waren es sogar 250 Millionen Mark, die das hochverschuldete Land für seine private International University übrig hatte. Und die Stiftungsuni von Witten-Herdecke in Nordrhein-Westfalen finanziert gar ihre laufenden Kosten seit 1995 mit jährlich über fünf Millionen Euro aus der Landeskasse. Es gehört nicht viel Mut zu der Voraussage, daß auch in Berlin in kurzer Zeit kräftige Zuschüsse fällig werden.

Trotz solcher üppiger öffentlicher Förderungen sind Stiftungsunis allerdings keine öffentliche, sondern eine durchaus private Angelegenheit: Weder gilt das öffentliche Haushalts- oder Dienstrecht, noch genügt das Abitur als allgemeine Hochschulzugangsberechtigung. Die Träger dieser Universtäten sind private Stiftungen, die über ihre bildungspolitischen Ziele niemandem Rechenschaft schuldig sind. Wenn dann auch noch ­ wie voraussichtlich im Fall der ESMT ­ ein wackeliges Finanzierungskonzept Kürzungen nötig macht, können jederzeit die Studiengebühren erhöht und das Lehrangebot eingeschränkt werden. Die wissenschaftspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Lisa Paus, prophezeit für das Staatsratsgebäude denn auch eine „Repräsentanz der deutschen Wirtschaft mit angeschlossener Lehrstätte für Manager". Eine Kaderschule der Wirtschaftselite ­ subventioniert aus dem Etat des Bildungssenators und leidenschaftlich unterstützt von Bürgermeister Wowereit, der sogar das Hochschulgesetz ändern will, um den Privaten künftig das Promotionsrecht einzuräumen.

Warum nutzt man diese politische Energie statt für ein fragwürdiges Ersatzangebot nicht für eine Reform der staatlichen Unis? Niemand kann behaupten, die alten Institutionen mit ihrer verworrenen Organisation und ihrer byzantinischen Hierarchie seien besonders zukunftsträchtige Gebilde. Ihre Ideale wurden verraten, ihre einst so aktive Öffentlichkeit ist eingeschlafen, ihr Bildungsanspruch wurde einer marktgerechten Spezialisierung geopfert. Von außen sind sie dem penetranten Drängen nach wirtschaftlicher Verwertbarkeit ausgesetzt, von innen zersetzt sie der Konflikt zwischen einer praxisfernen Gelehrtheit und der hastigen Jagd auf den schnellen Berufsabschluß, die steile Karriere, die sichere Stelle. Das Hochschulsystem muß überdacht werden, was seine Inhalte, seine Methoden und seine Struktur angeht. Es braucht keine Ersatzangebote, sondern eine aktive Reform. Und es braucht Geld – das sich leicht beschaffen ließe: Statt die Wirtschaft um Eliteschulen anzubetteln, könnte man sie einfach besteuern.

Johannes Touché

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