Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Fauchender Drache und Geschlechterpuppe

Eine Theaterausstellung im Nicolaihaus

Bereits im Durchgang des altehrwürdigen Nicolaihauses wird man von einem wild fauchenden Drachen begrüßt, der sich im Kampf gegen den Artus-Ritter Lancelot befindet. Es ist der von dem Theaterplastiker Eduard Fischer 1965 geschaffene dreiköpfige Drache der Inszenierung von Jewgeni Schwarz' Märchenkomödie Der Drache am Deutschen Theater. Ebenso wie der schon etwas ramponierte Globus und Ernst Buschs Kostüm von Brechts Galileo Galilei von 1957 gehört er zu den Exponaten des dritten Teils der Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum Theater in Berlin nach 1945. Dieser widmet sich unter dem Motto „Nun ist es Zeit, das Antlitz neu zu schaffen" dem Schauspiel von der Wiedereröffnung des Schiller-Theaters 1951 bis zum Wendeherbst 1989.

In den verwinkelten Räumen werden auf etwa 600 m2 Brechts Berliner Ensemble mit seinen Highlights ebenso dargestellt wie die von ihm politisch inspirierte, aber als Kollektiv im Westen der Stadt neue Wege gehende Schaubühne. Angerissen werden die vielfältigen Umsetzungen der Klassiker und die dokumentarisch orientierten Theateranklagen der Regisseure Piscator und Zadek. Die im Westen im Gefolge der Studentenbewegung entstandenen bunten Szene freier Theater kontrastiert der gutgemeinte, aber enge ideologische Grenzen ziehende Bitterfelder Weg des sozialistischen Arbeitertheaters, auf dem nicht nur Wolfgang Langhoff ins Stolpern geriet. Das in beiden Stadthälften phantasiereich sich entwickelnde Kinder- und Jugendtheater wird durch das Theater der Freundschaft wie die Berliner Kammerspiele veranschaulicht, und natürlich fehlt auch nicht der emanzipatorische Ansatz von GRIPS und dessen Ausgründung Rote Grütze, die ab 1973 mit ihrer flauschigen Geschlechterpuppe und dem Aufklärungsstück Darüber spricht man nicht unterwegs war.

In einem dem Kabarett gewidmeten Raum quasseln aus bereitliegenden Telefonhörern sprachgewaltige Komiker durcheinander. Erst wenn man einen Hörer aufnimmt, ist man direkt mit einem Programm von Wolf Biermann, Werner Finck, der „Distel" (Ost) bzw. den „Stachelschweinen" (West) verbunden. Schlaglichtartig beleuchtet werden die Wege der Autoren Heiner Müller, Heinar Kipphardt und des Regisseurs Adolf Dresen zwischen Ost und West. Ein großformatiges Foto von der maßgeblich von DDR-Theaterleuten organisierten Demonstration für Presse-, Versammlungs- und sonstige Freiheiten am 4. November auf dem Alex symbolisiert die Wende und damit das Ende konfrontativer Teilung wie auch dieser Ausstellung. Der vierte und letzte Teil soll dort ab Frühjahr 2003 zu sehen sein ­ unter dem chronologisch naheliegenden Titel „Nach der Wende".

Franz-Josef Paulus

„Theater in Berlin nach 1945 – Teil 3: Schauspiel. Nun ist es Zeit, das Antlitz neu zu schaffen", noch bis zum 16. Februar 2003 im Museum Nicolaihaus, Brüderstr. 13, Mitte. Geöffnet Di bis So von 10 bis 18 Uhr

Der gleichnamige, im Henschel Verlag Berlin erschienenen Katalog kostet 17,90 Euro

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  Ausgabe 09 - 2002