Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Frauenfalle Psychiatrie

Wie Frauen verrückt gemacht werden

Vor 25 Jahren war das Buch mit dem Titel Wie Frauen verrückt gemacht werden das erste deutschsprachige Buch, das den Zusammenhang zwischen dem Alltag von Frauen und ihrem „Verrücktwerden" durch frauenfeindliche Lebensbedingungen beschrieb. Durch die Arbeit der Frauenbewegung hat sich zwar viel verändert, dennoch ist die Situation von Frauen, die in ihrem Leben in psychische Krisen geraten, noch immer vielfach durch Machtlosigkeit und Abwertung geprägt. Im Jahr 2002 ist eine neuüberarbeitete Fassung von Wie Frauen verrückt gemacht werden mit einem ausführlichen aktuellen Informations- und Adreßteil sowie neuen Fallbeispielen unter dem Titel Frauenfalle Psychiatrie erschienen. Lediglich der ehemalige Titel wurde als Untertitel beibehalten.

Anhand sieben aktueller Interviews zeigt die Psychologin Roswitha Burgard, wie die psychischen Beeinträchtigungen von Frauen immer noch durch sexistische Strukturen verursacht werden. Die Autorin weist daraufhin, daß bereits jede vierte erwachsene Person in Deutschland im Laufe ihres Lebens mindestens einmal psychisch krank wird, davon sind aber Frauen weitaus häufiger betroffen als Männer. Burgard nimmt die weibliche Sozialisation, Geschlechterrollenstereotype und das Machtgefälle in Familie, Schule, Beruf und psychiatrischen Einrichtungen genau unter die Lupe und beschreibt den ursächlichen Zusammenhang zwischen weiblichen Lebensbedingungen und der Entwicklung bestimmter psychischer Probleme.

Unter Verwendung zahlreicher Beispiele aus ihrem therapeutischen Alltag analysiert Burgard, wie Frauen in die „Falle" Psychiatrie geraten und oft darin gefangen bleiben. Abwertungen und Sexismus in Schule, Ausbildungsstätten, Beruf und Ehe werden als krankmachende Faktoren entlarvt. In einem Kapitel werden die Wirkungen und Gefahren von Psychopharmaka beschrieben. Weiterhin wird erläutert, was beim Absetzen von Psychopharmaka zu beachten ist. Die Mitautorin Therese Walter beschreibt die Situation von Frauen in der stationären Psychiatrie und Psychotherapie.

Burgard hat in ihrem Leben viele Frauen nach Gewalterfahrungen als Psychotherapeutin und Forscherin begleitet. Ihre Motivation, sich nach 25 Jahren wieder mit der Frage zu beschäftigen, was Frauen verrückt mache, war, daß aus ihrer Sicht die Frauenbewegung „zu wenig und doch sehr viel" erreicht habe. Sie will nun durch ihr Buch die Leserinnen ermutigen, unterstützen und inspirieren, die inzwischen größeren Handlungsspielräume für Frauen kreativ zu nutzen. Sie zeigt, daß sie ihre Aufgabe als Therapeutin darin sieht, Frauen nicht in ihrer Bitterkeit zu begleiten und in ihrem Opferstatus zu stabilisieren, sondern mit ihnen gemeinsam die überlebten Traumata mit allen dazugehörenden Gefühlen und Körperreaktionen zu beleuchten und durchzuarbeiten. Nur durch konkrete Informationen sowohl im Vorfeld als auch in der Psychiatrie können sich Frauen besser schützen.

Heidemarie Grübler

Roswitha Burgard: „Frauenfalle Psychiatrie. Wie Frauen verrückt gemacht werden". Orlanda-Frauenverlag, Berlin 2002. 240 Seiten. 15,50 Euro.

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