Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Umwandlungsverbot auf der Kippe

Stabilisierung durch Wohneigentum?

Wer in diesem Jahr mit offenen Augen durch die Ostberliner Altbauquartiere schlenderte, konnte sie allerorten vor Baugerüsten und frisch sanierten Fassaden sehen: großflächige Schilder, auf denen diverse Projektentwickler mit wohlfeilen Worten für entstehende bzw. entstandene Eigentumswohnungen werben. Während die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu Beginn des Sanierungsprozesses noch die Ausnahme darstellte, ist sie mittlerweile die Regel. Die Folgen dieser Entwicklung bekommen sanierungsbetroffene Mieter deutlich zu spüren:
Da leerstehende Eigentumswohnungen einen deutlich höheren Preis erzielen als von Bestandsmietern bewohnte, nimmt der Verdrängungsdruck massiv zu.

Verschärft wird diese Problematik durch die Tatsache, daß Wohnungen mit völlig neuen Grundrissen teilweise schon vor Sanierungsbeginn verhökert werden, um mit den Erlösen die Baumaßnahmen finanzieren zu können. Bisher konnten die Sanierungsverwaltungsstellen diesem Unwesen mit rechtlichen Mitteln nicht beikommen. Die Strategie der Mieterberatungsgesellschaften besteht daher darin, Mieter in entsprechenden Häusern über ihre Rechte aufzuklären und somit den Druck auf die Projektentwickler zu erhöhen, den Bestandsmietern entgegenzukommen (was zumeist bedeutet, daß die angebotenen „Auszugsprämien" aufgestockt werden).

Seit 1998 existiert aber durch eine Novellierung des BauGB die Möglichkeit, zumindest in Milieuschutzgebieten mittels eines Genehmigungsvorbehalts die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu unterbinden. Die Nutzung dieses Instruments wurde in der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS festgelegt. Passiert ist bisher aber nichts, und die in einem Interview mit der VorOrt vom September 2002 getroffenen Aussagen der Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), lassen bezweifeln, daß innerhalb der Koalition noch Einigkeit über die Anwendung des Genehmigungsvorbehalts besteht. Gemäß Junge-Reyer ist dieser nämlich „kein geeignetes öffentlich-rechtliches Instrument", um die Bildung von Wohnungseigentum sozialorientiert zu steuern. Dem Interview ist weiterhin zu entnehmen, daß man in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die gegenwärtige Umwandlungswelle begrüßt.

Statt aber die eigene unbedingte Investorenfreundlichkeit offen einzuräumen, versteigt sich die Staatssekretärin zu der hanebüchenen Argumentation, daß die Milieuschutzgebiete „stabilisiert" werden müßten, was nur über Eigentumsbildung möglich sei. Wenn wir mal davon ausgehen, daß Junge-Reyer weiß, was sich derzeit in Sanierungs- und Milieuschutzgebieten im Rahmen „stabilisierender Eigentumsbildung" abspielt, ist eine derartige Veralberung der Öffentlichkeit nur noch ärgerlich.

Nun gilt es abzuwarten, was die Koalitionäre, und hier insbesondere die PDS, wirklich wollen. Immerhin hat der Abgeordnete Michael Nelken (PDS) in einem Leserbrief die Ausführungen der Staatssekretärin kritisiert.

Thorsten Friedrich

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  Ausgabe 09 - 2002