Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
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Mehr als nur Fassade

Das erste Drei-Liter-Haus Berlins ­ ein Beispiel

Die Spandauer Vorstadt ist schick geworden. Durchdesignte Bürohäuser, Läden und Restaurants bezeugen, daß man Stil hat und mit der Zeit geht. Auch in der Steinstraße 26-28 wird derzeit gebaut. Aber hier geht es nicht um die Fassade, das Besondere liegt im Inneren des Baus. Die alte Baulücke wird bald ein sogenanntes „Drei-Liter-Haus" füllen, das in der Nutzung weniger als die Hälfte der Energie eines herkömmlichen Neubaus verbraucht.

Beispiele für ökologisches Bauen gibt es in Berlin nur wenige. Der Bund hat die neuen Regierungsgebäude mit Solarkollektoren, Photovoltaik und Heizsystemen der neuesten Technik ausgestattet. Spektakuläre Beispiele wie die Kuppel des Reichstagsgebäudes mit seinem Lichtumlenkkegel sollen als zukunftsweisende Signale verstanden werden. Die Stadt Berlin, die ihre Mittel für die nötigsten Sanierungsarbeiten braucht, versucht ihre Dächer für die Aufstellung von Photovoltaik-Anlagen zu vermieten und hofft, damit Geld zu verdienen. Die technische Hochrüstung öffentlicher Gebäude ist aber nur ein kleiner und in erster Linie symbolischer Schritt hin zu einer Verringerung von Energieverbrauch und Kohlendioxydausstoß. Um die Bauwirtschaft aktiver in den Klimaschutz einzubinden, bräuchte es ohne Zweifel zusätzliche Lenkungsmaßnahmen. Doch in den „Zwölf Thesen für eine zukunftsfähige Stadtentwicklungspolitik", die der zuständige Senator Peter Strieder im Foyer publiziert hat, deutet nichts darauf hin, daß der Senat energiesparende oder ressourcenschonende Architektur zukünftig besonders fördern wird.

Zwar gibt es hin und wieder private Investoren, die ökologisch bauen, und sei es nur, um das Image des Unternehmens zu verbessern. Im städtischen Wohnungsbau jedoch, wo solche Motivationen entfallen, gibt es bisher kaum Initiativen. So geht auch das neue Wohngebäude in der Steinstraße nicht auf öffentliche Förderung zurück, sondern auf die Privatinitiative einzelner. Einige Freunde hatten hier ein gemeinsames Interesse: Sie suchten zum Einfamilienhaus mit Garten eine innerstädtische Alternative, die außerdem ökologischen Maßstäben entsprechen sollte. In der Steinstraße fanden sie ein passendes Grundstück, in der Firma Basc.et GmbH einen Partner, der zusammen mit dem Architekturbüro Carpaneto-Schöningh ein Bebauungs-, Nutzungs- und Finanzierungskonzept vorlegte. Familienfreundlich und gemeinschaftlich sollte das Projekt werden, energieeffizient und ökologisch das Gebäude. Das Konzept überzeugte den zuständigen Stadtrat für Finanzen, Dr. Heuer, und erhielt den Zuschlag, als das Grundstück von der Stadt im öffentlichen Bieterverfahren angeboten wurde.

Die mittlerweile über 30 Bauherren haben unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten. Eine Gesellschaft wurde gegründet, verschieden hohe Anteile zusammengelegt, der Rest mittels Banken finanziert. Wer nicht so viel Kapital einbringen kann, leistet sich nicht die Dachgeschoßwohnung mit Terrasse und hat höhere monatliche Rückzahlungssätze. Basc.et hat die Abwicklung übernommen. Die Firma arbeitet nicht gewinnorientiert, sondern für ein Dienstleistungshonorar. Jeder einzelne ist Bauherr und hat auch das entsprechende Risiko zu tragen. Der Lohn dafür ist Miteigentum zum Selbstkostenpreis, also ohne die sonst übliche Gewinnmarge eines Bauträgers.

80 Prozent der Nutzfläche sind dem Wohnen gewidmet, in den restlichen Räumen sollen fünf Läden Platz finden. Der begrünte Hof und einige Räumlichkeiten werden der ganzen Hausgemeinschaft zur Verfügung stehen. Geplant sind eine Werkstatt, eine Gästewohnung und eine Sommerküche im Hof. Nebeneffekt der gemeinsamen Nutzung von Räumen und Infrastruktur sind geringere Bau-, Betriebs- und Instandhaltungskosten und damit ein geringerer Verbrauch von Energie und Rohstoffen.

Die schadhafte Bausubstanz im Hinterhof soll so weit wie möglich erhalten und saniert werden. Der Neubau an der Straße wird mit herkömmlichen Baustoffen errichtet und mit Mineralschaumplatten gedämmt. Die Materialwahl für den Ausbau der einzelnen Wohnungen hingegen kann auch abweichend vom sparsamen Standard von den zukünftigen Nutzern weitgehend selbst getroffen werden, die Gesellschaft für ökologische Baustoffe steht beratend zur Seite. Nur für die Fußböden wurde eine gemeinsame, sparsame Lösung gefunden: Direkt im Wald werden Eichen ausgesucht, vom Sägewerk bearbeitet und als Dielenböden verlegt.

Die Basis jedes energiesparenden Bauens bildet eine besonders gute Wärmedämmung. Die Fenster bilden in jeder wärmedämmenden Haut die Schwachstellen, aber gerade hier sind in den nächsten Jahren größere technische Fortschritte zu erwarten. Deshalb sollen sie in der Steinstraße so eingebaut werden, daß sie später ohne größeren Aufwand ausgetauscht werden können. Überdies sorgt eine kontrollierte Wohnungslüftung für einen reduzierten Energiefluß vom beheizten Innenraum zum kühlen Außenraum. Die verbrauchte Abluft wird zu einem Wärmetauscher geleitet, der die zugeführte Frischluft vorwärmt und in die Wohnungen einbläst. Die Energieversorgung wird durch ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk gewährleistet. Weil dieses nicht nur Elektrizität erzeugt, sondern auch die dabei entstehende Wärme nutzt, arbeitet es wesentlich effizienter als ein Großkraftwerk. Nach Bezug Mitte nächsten Jahres soll das Haus bei der Wärmeerzeugung „im Betrieb CO2-neutral" sein.

In den „Wohnetagen Steinstraße" sind ökologische Architektur und selbstorganisierte Bauherrenschaft gelungen vereint. Es wäre zu wünschen, daß das Projekt Nachahmung findet und wir mehr Drei-Liter-Häuser in Berlin sehen werden. Fassadenarchitektur gibt es schon genug.

Christian Federmair

Info unter www.wohnetagen-steinstrasse.de

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