Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

Zurück in die Zukunft

Architektur und Stadtplanung in Berlin ­ ein Überblick

Berlin hatte von jeher ein recht unbekümmertes Verhältnis zu seiner gebauten Geschichte. Wohl kaum eine andere Stadt in Europa erlebte im 20. Jahrhundert und insbesondere im letzten Jahrzehnt ähnlich viele und umfassende Erneuerungswellen.

Mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984/87 wurden im Westteil der Stadt erste Anstrengungen unternommen, das unkenntlich gewordene traditionelle Stadtgefüge nach dem Leitbild der „kritischen Rekonstruktion" (IBA-Direktor Josef Paul Kleihues) wiederherzustellen. Die IBA feierte einen letzten großen Triumph der Postmoderne, die in Berlin durchaus gute Beispiele für ein gelungenes Einfügen (post)moderner Bauten in einen sehr heterogenen städtebaulichen Kontext hervorbrachte. Nach 1991 übertrug der neu berufene Senatsbaudirektor Hans Stim-mann das Leitbild der nun nicht mehr ganz so kritischen Rekonstruktion auf das gesamte historische Stadtzentrum im Ostteil der Stadt: Das Stadtgefüge eines idealisierten 19. Jahrhunderts, die viel beschworene „europäische Stadt" der Vormoderne, wurde sämtlichen Neu- und Umbauplanungen zugrunde gelegt, denen schließlich ähnlich viel historische Bausubstanz zum Opfer fiel wie dem Zweiten Weltkrieg. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ­ darunter Jean Nouvels Kaufhaus „Galeries Lafayette" und die noch nicht vollendete Akademie der Künste am Pariser Platz von Behnisch & Partner ­ entstanden in der Folge meist konfektionierte „Schichttorten": unten Läden, darüber Bürogeschosse und ganz oben ein paar Alibi-Wohnungen. Mit vorgehängten Steinfassaden beschwört man dazu vordergründig das gewünschte „historische" Stadtbild.

Kleihues hatte beim UIA-Kongreß in Barcelona 1996, der sich dem Thema „Gegenwart und Zukunft der städtischen Architektur" widmete, vor weiteren städtebaulichen Experimenten in Berlin gewarnt. Der Konsens über die Stadtplanung sei die Voraussetzung für vielfältige Architektur. Kleihues übersah ebenso wie Stimmann, daß man Konsens mit stadtplanerischen Mitteln nicht erzwingen kann. Im Gegenteil: Stimmann entfachte einen Sturm der Entrüstung, als er 1996 sein „Planwerk Innenstadt" vorlegte, das auch für die an das historische Zentrum angrenzenden Stadtbereiche, die zum Teil großflächig durch den Städtebau und die Architektur der Nachkriegsmoderne geprägt sind, eine Annäherung an den Stadtgrund- und -aufriß des 19. Jahrhunderts vorsieht. Zwar blieb das Planwerk, nicht zuletzt wegen der bis heute anhaltenden Bauflaute, bislang nahezu wirkungslos. Aber es bildet ­ gründlich überarbeitet und abgeschwächt ­ seit einem Senatsbeschluß 1999 die Grundlage der Stadterneuerung im deutlich erweiterten zentralen Bereich Berlins.

Berlin anno 2002 belegt, daß die geradezu absolutistisch gedachten und durchgesetzten, weit in den Bereich der Architektur eingreifenden stadtplanerischen Regelungen sich allzu lähmend auf die Phantasie der Architekten ausgewirkt haben. Eine Vielzahl von international renommierten Architekten ­ darunter etwa Arata Isozaki, Rafael Moneo, Richard Rogers und Helmut Jahn ­ haben nahezu ausnahmslos allenfalls mittelmäßige Bauwerke zustande gebracht. Die hohe Aufmerksamkeit, die einzelnen Architekturen, meist außerhalb des historischen Stadtzentrums (wie das von Lord Norman Foster umgebaute Reichstagsgebäude, das Kanzleramt von Axel Schultes und Charlotte Frank oder das Jüdische Museum von Daniel Libeskind) zu Recht zuteil wurde, täuscht darüber hinweg, daß die große Masse der Architektur des „Neuen Berlin" außerhalb der Fachöffentlichkeit kaum Beachtung fand.

Die Debatten um die „Neue Einfachheit", die vielen dieser Bauten als Theorie zugrunde lag, wurden hingegen mit großem Interesse verfolgt; ebenso die schier endlosen Diskussionen um einen Neubau am Standort des Stadtschlosses. Sie fanden nun im Bundestag mit der symptomatischen Entscheidung ihr vorläufiges Ende, einem wie auch immer genutzten und gestalteten Neubau drei rekonstruierte Barockfassaden vorzublenden. Die „Zurück-in-die-Zukunft"-Parolen der Berliner Stadterneuerung scheinen bei den Bonner Neuankömmlingen auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.

Berlin hat wenig von Barcelona gelernt, das sich im Vorfeld der Olympischen Spiele 1992 ebenfalls eine tiefgreifende Stadterneuerung verordnet und dafür Lob von Fachleuten aus aller Welt geerntet hatte. Damals ging es nicht um die Rekonstruktion einer früheren Stadt, sondern um eine Qualifizierung des öffentlichen Raums und dessen Prägung durch betont moderne Architektur, die in der Regel durchaus in der Lage war, sich in den Kontext der Stadt einzufügen ­ was ihr in Berlin grundsätzlich nicht mehr zugetraut wird. In Barcelona schufen Stadtplaner wie Oriol Bohigas den Architekten und Freiflächenplanern jene Freiräume, die sie zur Entfaltung ihrer Phantasie benötigten. In Berlin dagegen verordneten die Planer von Hans Stimmanns Gnaden den Architekten ein viel zu eng geschnürtes Korsett ­ und feierten die Monotonie der auf diese Weise entstandenen Stadträume als Sieg über die vermeintlich überbordende Phantasie der Baumeister, die in den letzten Jahrzehnten angeblich „schon genug Schaden angerichtet" hätten.

Oliver G. Hamm

Der Autor ist Chefredakteur beim Deutschen Architektenblatt.

Der Beitrag ist eine gekürzte Version eines Artikels, der im Juli im El País veröffentlicht wurde.

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2002