Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
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Neuseeland ist auch eine Insel

Neuseeländische Autoren schreiben über Berlin

Das Interesse an der deutschen Hauptstadt ist mittlerweile auch am anderen Ende der Welt so groß, daß die neuseeländische Kulturförderung Creative New Zealand vor drei Jahren ein Berlin-Stipendium für Schriftsteller ins Leben gerufen hat. Die Fundamente des deutsch-neuseeländischen Kulturaustauschs aber haben das Goethe-Institut in Wellington und das Berliner Künstlerprogramm des DAAD gelegt. Der erste DAAD-Stipendiat aus Neuseeland war vor 20 Jahren James McNeish. Der 1931 geborene Schriftsteller kam nach Berlin, um über einen neuseeländischen Sportler zu recherchieren, der an den Olympischen Spielen 1936 teilgenommen hatte. Ein Tagebuch, das während dieses Aufenthalts im ummauerten West-Berlin entstanden war, wurde1986 in der Edition des Literarischen Colloquiums unter dem Titel Ahnungslos in Berlin veröffentlicht. In Auszügen ist dieser Text jetzt wiederabgedruckt in der Anthologie Dies ist eine wahre Geschichte, die Berlin-Texte von zehn neuseeländischen Autoren versammelt.

Die reizvollsten Texte sind die, die zurück in das ferne, alte West-Berlin führen ­ so etwa das „Berlin-Tagebuch" von Cilla McQueen, das von einem damals abenteuerlichen Besuch in Ost-Berlin erzählt. Auch Stevan Eldred-Grigg läßt in seinem Beitrag „Hallo Berlin" das alte West-Berlin aufleben: Der Sohn eines Emigranten will den Ort aufsuchen, an dem sein Vater als Kind gelebt hat. Die Spurensuche bleibt erfolglos, der junge Mann lernt aber eine faszinierende Stadt kennen, in der sich Leute treffen, die „nirgends dazugehören" und deren schwule Subkultur er als befreiend empfindet. Philip Temple wiederum verbrachte ab 1987 einige Jahre in Berlin und erlebte hier die Umbrüche von 1989/90. In der Anthologie sind zwei differenzierte Portraits von Ostberlinern abgedruckt: von Jutta, die unter dem DDR-Regime und dem Eingesperrt-Sein in ihrem Land leidet, und von Jürgen, einem Wissenschaftler, der sich mit dem System arrangiert hat.

Temple stellt bei seinen Besuchen in Ost-Berlin eine „unheimliche Ähnlichkeit" mit dem Neuseeland der fünfziger Jahre fest, in dem man auch ziemlich isoliert war. „In Neuseeland lebten wir auch auf einer Insel", schreibt James McNeish an einer anderen Stelle.

Die jüngere Autorengeneration Neuseelands braucht nicht mehr auf eine Insel West-Berlin gelockt werden. Die Hauptstadt hat längst auch in Neuseeland den Ruf, eine der lebendigsten Metropolen Europas zu sein. Je näher sich die skizzen- und teilweise reportageartigen Beiträge allerdings der Gegenwart nähern, desto weniger Reiz haben sie. Wenn Tina Shaw etwa über das Leben in Mitte schreibt, mag das für neuseeländische Leser von Interesse sein, Berliner erfahren dadurch nichts Neues. Mit Nigel Cox schließlich ist kürzlich ein neuseeländischer Schriftsteller an das Jüdische Museum geholt worden. Cox leitet dort die Abteilung „Bildung und Ausstellungen". In seinem Beitrag beschreibt er seinen „Weg ins Jüdische Museum" und wie es ist, ohne Deutschkenntnisse in Berlin zu leben.

Mit der Anthologie Dies ist eine wahre Geschichte wird die DAAD-Buchreihe Spurensicherung ihrem Namen aufs Schönste gerecht, versammelt der Band doch Spuren, die Berlin im Werk dieser neuseeländischen Autoren hinterlassen hat.

Florian Neuner

DAAD Berliner Künstlerprogramm und Goethe-Institut Wellington (Hg.): Dies ist eine wahre Geschichte. Berlin 2002. 8,60 Euro

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