Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Und alles wird wie neu sein

Feierten vor einem Jahr die Labels noch Bands, die für akustische Gelassenheit standen und mit Namen wie Kings of Convenience auf ihren musikalischen Inhalt verwiesen, kommt jetzt der wütende und laute Gegenpart. Es war ja zu erwarten, daß irgendwann auch Punk wieder ausgegraben wird. Daß Punk aber nicht nur als ästhetisches Phänomen reanimiert wird, sondern auch mit entsprechenden Inhalten gefüllt wird, erfreut. Allerdings finden sich – in den USA zumindest – auch genügend Parallelen, die für eine ähnlich apokalyptische Stimmung wie in den Achtzigern sorgen: Bush jr. hat mit dem „War Against Terror" Reagan und SDI ersetzt und steht für die gleiche Good-Evil-Politik. Grund genug, wieder aggressiver und politischer zu werden.

Liars kommen aus New York und reflektieren diese Stimmung, die einerseits für Wut und panisches Um-Sich-Hauen sorgt und andererseits paralysierende Angstpsychosen hervorruft. Grob, unbehauen und durch Filter verfremdet, spiegelt die Musik auf They Threw Us All In a Trench (Mute) das so paranoide wie bedrohliche Real-Szenario wieder. Das letzte Stück schließlich dreht sich immer mehr in sich selbst ein und endet in einer totalen Bewegungsstarre mit einem fast 20minütigen Loop. Besser läßt sich die momentane Situation kaum beschreiben.

Radio 4 kommen gleichfalls aus New York und beziehen sich auf ähnliche Einflüsse. Allerdings ist Gotham (CitySlang) durch Wave und gedubbte Popelemente weniger stechend und ätzend. Das mag daran liegen, daß das Album noch vor dem 09-11-01 entstanden ist. Trotzdem sammeln Radio 4 genug Stoff, um mit politischen Selbstgefälligkeiten abzurechnen. Besonders der Übereifer des New Yorker (Ex-)Bürgermeisters Giuliani, N.Y. wieder zu einer „sicheren Stadt" zu machen, und die Folgen, die sich daraus für Subkulturen ergeben, spiegeln sich in den Texten wider.

Noch mehr Retro, dafür weniger Politik ­ so läßt sich Mia in diese Reihe einpassen. In der gesamten Optik dominiert Achtziger-Design, und die ausgekoppelte Single Alles Neu ließ beim Hören im Radio eher die Vermutung an ein unbekanntes Stück von Ideal denn an irgendetwas Neues aufkommen. Letztlich nur eine Frage der Zeit, wann nach all den NDW-Revival-Parties eine NDW-Retro-Band auftauchen würde. Klar, daß das Neon-Glühen dann zuerst in Berlin zu sichten war. Daß Hieb& Stichfest (Columbia) aber nicht nur langweilt, liegt am gekonnten Musik-Styling, das in naiver Unverfrorenheit weder Plagiate noch einfach gestrickte Songs scheut. Die Coverversion von David Bowies Heroes trifft genau auch den Kern von Mia ­ Helden für einen Tag. Die politischste Aussage des Albums findet sich als kleiner Aufkleber auf dem Cover: „Auf PC/Mac nicht abspielbar". Wenn schon inhaltlich und beim Band-Styling so viel kopiert wurde, dann ­ so sorgt sich die Plattenfirma ­ sollte zumindest übermäßiges Kopieren am Datenträger verhindert werden. Daß sich dann aber die CD sogar mit dem Microsoft Mediaplayer abspielen und kopieren läßt, macht stutzig und deutet auf eine neue, besonders subversive Strategie der Musikindustrie hin.

Marcus Peter

© scheinschlag 2002
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  Ausgabe 08 - 2002