Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
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Kein bürgerliches Idyll

Der Mauerpark wirkt als energievolle Stadtlandschaft

MWenn man etwas über den Wandel Berlins lesen will, begegnet man vielen Texten über Großprojekte wie dem Potsdamer Platz, das neue Regierungsviertel, das Jüdische Museum oder dem Schloßplatz. Der Diskurs über die Stadtentwicklung Berlins seit der Wende beschränkt sich fast ausschließlich auf die großen Bauprojekte. Sehr viel weniger wird über die Freiräume der Stadt diskutiert. Jedoch sind es diese Räume, in denen der städtische Alltag stattfindet, und hier werden die Spannungen zwischen Berlins Vergangenheit und Zukunft erlebt. Fast nirgendwo wird das deutlicher als im Mauerpark.

Die Geschichte des Mauerparks ist eng mit der Geschichte Berlins verbunden. Der östliche Teil des heutigen Parks war im 17. Jahrhundert zunächst ein Exerzierplatz des Preußischen Militärs. Der Rest ist ein ehemaliger Bahnhof: Als sich die Gegend im Rahmen der Industrialisierung entwickelte, wurde die Schwedter Straße Richtung Norden verlängert und ein Güterbahnhof gebaut, dessen Bedeutung man heute am besten an den enormen Brücken erkennen kann, die den Gleimtunnel bilden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände zwischen russischem und französischem Sektor geteilt. Ein Teil des Exerzierplatzes auf der östlichen Seite verschwand unter einem Schuttberg, auf dem 1951 ein Sportkomplex für die Weltjugendspiele entstand, das heutige Friedrich-Jahn-Stadion. Nach dem Mauerbau wurde die Fläche zwischen dem Stadion und der Schwedter Straße zum „Todesstreifen". Auf der westlichen Seite der Mauer wurde der Eisenbahnverkehr immer geringer und Ende der siebziger Jahre eingestellt. Danach siedelte sich Kleingewerbe an.

Als nach dem Mauerfall Pläne bekannt wurden, im ehemaligen Grenzgebiet eine Autobahn zu bauen, bildete sich eine örtliche Bürgerinitiative, die hier einen Stadtteilpark errichten wollte. Woher das nötige Geld dafür kommen könnte, war jedoch unklar. Die Mittel flossen schließlich im Rahmen der Olympia-Berwerbung. Das Friedrich-Jahn-Stadion wurde saniert und an der nördlichen Seite des Schuttberges die Max-Schmeling-Halle gebaut. Ihr größtenteils grasbewachsenes Dach sollte ursprünglich begehbar sein, was ihr in einer Architekturzeitschrift den Titel einer „Brücke" eintrug, auf der sich „Ost und West begegnen". Damit niemand kostenlos den Spielen und Konzerten beiwohnen kann, die in der unten liegenden Halle stattfinden, hat man dann doch lieber einen Zaun davorgebaut.

Zur Gestaltung des Mauerparks wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der Hamburger Landschaftsarchitekt Prof. Gustav Lange gewann. Nur der erste der vier Bauabschnitte wurde realisiert, finanziert durch die Allianz Stiftung für Umweltschutz und die Stadt Berlin. Ein weiterer Abschnitt, der sich nördlich der Gleimstraße befindet, ist inzwischen im Bau – allerdings nur zum Teil. In einem abgesenkten Bereich entsteht zur Zeit ein Garten, offenbar ein manierierter Bezug auf den großen Berliner Gartenplaner Erwin Barth, der in den zwanziger Jahren einige seiner Parks gegenüber dem Straßenniveau absenkte, um den gestreßten Großstadtbewohnern Ruheräume zu verschaffen. Eine pompöse Treppe schneidet von der Schwedter Straße durch die Stützmauer des ehemaligen Bahngeländes und weist aufwärts, gen Westen. Dort oben liegt allerdings – eine schöne, wenn auch unfreiwillige Metapher – eine staubige Brache. Hier steht nur ein Kinderbauernhof, dessen Gründung nach jahrelangen Querelen vor allem durch die Initiative von Anwohnern gelang.

Der Park ist heute besonders für seine Jugendkultur bekannt. Die ehemalige Hinterlandmauer, die an der Spitze des Hangs steht, wird ständig von Graffitikünstlern bearbeitet. Im Sommer ist der Park die ganze Nacht über voll besetzt. Allerdings ist der Mauerpark kein beschauliches Idyll, eher wirkt er als energievolle Stadtlandschaft: Statt einer von geschwungenen Wegen durchzogenen Waldlandschaft – Idealbild einer bürgerlichen Grünplanungstradition, die bereits vor 80 Jahren als altmodisch galt – kann man hier die Spuren der Stadtgeschichte erleben.

Die gestalterische Eigenwilligkeit des Parks, seine komplexe Geschichte und seine lebendige, vielfältige Nutzung bewirken eine eindrucksvolle Atmosphäre, die zusätzlich durch den Anblick und den Lärm des Kleingewerbes auf der Weddinger Seite verstärkt wird. Hier befinden sich die Bauabschnitte II und III, für die Gustav Lange ganz im Gegensatz zu dem kargen, weiten Feld an der Schwedter Straße eine landschaftliche Gestaltung mit einem dichten Baumbestand vorgesehen hat. Die Planung wird in den nächsten Jahren wohl nicht mehr in Angriff genommen werden. Das Gelände gehört der Deutschen Bahn, deren Immobilienabteilung vom Senat einen so überhöhten Preis verlangte, daß dieser auf den Kauf verzichtete; die Pachtverträge der Gewerbetreibenden wurden auf weitere zehn Jahre verlängert. Die ursprüngliche Absicht des Landschaftsarchitekten, der mit seinem Entwurf ausdrücklich den „Niemandsland-Charakter" des Mauerstreifens erhalten wollte, wird so besser erfüllt, als man zu hoffen gewagt hat.

Jesse Shapins/Johannes Touché

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