Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
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Standortpolitik

Die Wagenburg „Schwarzer Kanal" kämpft um eine Dauerlösung

MEin strahlender Sommertag vor dem Roten Rathaus. Selbst die Polizei war bei über 30 Grad in Urlaubsstimmung. Viel zu tun hatte sie auch nicht, als die Bewohner der Wagenburg „Schwarzer Kanal" am Montagabend zur Kundgebung vor den Sitz der Berliner Stadtregierung mobilisierte. Geboten wurde viel Kleinkunst und Musik aus den späten sechziger Jahren. Politik aber gab es nur auf Sparflamme und kämpferische Töne wollten bei den sommerlichen Temperaturen erst gar nicht aufkommen.

Dabei war das Anliegen der Organisatoren höchst politisch. Schließlich geht es um die Zukunft einer der bekanntesten Berliner Wagenburgen. An der Schillingbrücke zwischen Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain leben seit über einem Jahrzehnt mehr als 30 Rollheimer, darunter zahlreiche Kleinkünstler. Doch bald wird es mit dem Leben am Spreeufer vorbei sein. Denn genau an dem Platz will die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ihre neue Bundeszentrale errichten. Nach den momentanen Planungen soll im Jahr 2004 das Gebäude durch die Baufirma Hochtief schlüsselfertig an ver.di übergeben werden. Mit dem Bau wurde schon begonnen. Doch die Verhandlungen mit den Rollheimern ziehen sich hin. Mehrere Gesprächsrunden zwischen der Gewerkschaft, Hochtief, dem Friedrichshainer Bezirksamt und den Bewohnern gingen ohne Einigung zu Ende. Die Verhandlungen waren erst aufgenommen worden, nachdem die Wagenburgler sich Ende Februar mit einer Kundgebung vor der derzeitigen ver.di-Zentrale am Potsdamer Platz zu Wort gemeldet haben.

Von den Bauplänen hatten sie durch Zufall erfahren. „Irgendwann hingen da an dem Gerüst in alle vier Richtungen riesengroße Plakate mit einem Bild von dem geplanten Gewerkschaftshaus auf dem von uns bewohnten Gelände", erklärte ein Bewohnerin.

In den Gesprächsrunden ist man sich schon näher gekommen. Strebten die Rollheimer ursprünglich die Integration ihres Domizils in den ver.di-Neubau an, bot die Hochtief einen Ersatzplatz in Köpenick. Diese Maximalpositionen sind mittlerweile vom Tisch. „Wir wollen eine langfristige Lösung und nicht von Platz zu Platz ziehen"; erklärt eine Bewohnerin. Das gerade aber ist momentan der größte Streitpunkt. Zwar hat Hochtief dem Schwarzen Kanal einen alternativen Standort in der Nähe vorgeschlagen, den die Bewohner als Ersatzobjekt auch akzeptieren . Daß sie den Platz schon in zwei Jahren wieder verlassen müßten, paßt ihnen aber ganz und gar nicht. Auch ein Berliner Architektenverband, dem ein Teil des Geländes auf dem neuen Platz gehört, läuft gegen die neuen Mitbewohner Sturm, weil sie eine Wertminderung ihrer Immobililen fürchtet. „Da steckt immer noch die Vorstellung dahinter, daß in einer Wagenburg Chaoten leben", lacht Rollheimerin Ilse. Enttäuscht ist sie über die Politik des Senats, der ihrer Meinung nach mehr in die Pþicht genommen werden sollte: „Ich habe von dem neuen Senat wirklich nicht viel erwartet. Aber daß er im Umgang mit alternativen Wohnformen die noch vom CDU-Senat konzipierte Linie so nahtlos fortsetzt, ist doch eine Enttäuschung."

In diesem Punkt ist sie sich einig mit dem für den ver.di-Bau zuständigen Hochtief-Projektpartner Jürgen Kilian, der fordert, daß der Senat aktiv werden müsse. Doch Ralf Hirsch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gibt sich davon unbeeindruckt. „Hier handelt es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit zwischen den Nutzern und den Eigentümern eines Geländes" erklärte er.

Peter Nowak

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